Willkommen im Musikzimmer! Dies sind die empfohlenen Inhalte und Neuerscheinungen.
Doors: Live At The Matrix 1967: The Original Masters
Die Doors fuhren am 5. Januar 1967 für drei Konzertabende im Fillmore Auditorium nach San Francisco, gerade nachdem ihr Debutalbum erschienen ist. Sie wurden vom lokalen Hippie-Publikum anfangs reserviert aufgenommen. Sie kamen aus Los Angeles, der Stadt der Kommerzmusik. Schlechte Karten. Aber Jim Morrison hatte das Publikum schnell für sich und die Band gewonnen. Die Doors kamen gerade zur rechten Zeit, um am Human Be-In teilnehmen zu können.
Im März kamen die Doors bereits wieder nach San Francisco, um zuerst im Avalon Ballroom zu spielen, dann im Matrix Club, einem kleinen umfunktionierten Pizza-Restaurant im Marina District der Stadt. «The Matrix» war der Hausclub von Jefferson Airplane, ein Club, in dem die Bands ohne grosses Publikum jamen konnten. Der Clou der Sache war: Einer der Betreiber Peter Abram statte den Club mit einem Tonbandgerät aus und nahm viele der Gigs auf. So entstand eines der ersten Rock-Archive überhaupt.
Es klingt verrückt: Die Doors spielten hier für fünf bis zehn Leute, eine «bezahlte Probe», nannte es Robby Krieger. Sie spielten an diesen Abenden viel Blues, dehnten die Stücke des ersten Albums und wagte es sogar, Tracks zu spielen, die erst mit dem zweiten erschienen.
Einen Monat später brach die Band durch, als ihr Light My Fire ein Top-Hit wurde. Die Aufnahme ist deshalb ein wertvolles Zeugnis, das eine Idee davon vermittelt, wie die Doors am Anfang ihrer Karriere klangen. Kein frustriertes Publikum, das Radau machte, kein hinübergetretener Morrison – nur Musik in Reinform. Ein Juwel!
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The Wire: TheWire_133
Feature über David Toop und Max Eastley, Disco Inferno, Otomo Yoshihide und Yamatsuka Eye (p. 20), über Progrock (p. 28), das stellenweise zynisch und ignorant ist.
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CD-Reihe: Café del Mar
Das Szenelokal «Café del Mar» in Sant Antoni de Portmany in der Bucht Cala des Moro auf Ibiza wurde am 20. Juni 1980 eröffnet. Das Café und seine Umgebung werden abends von bis zu mehreren tausend Tourist*innen aufgesucht, um den erhabenen mediterranen Sonnenuntergang («Ibiza Sunset») zu erleben. Die Sonne färbt Himmel und Wasser in allen Orange- und Rottönen. Das ergreifende Natur-Spektakel endet allabendlich mit einem Applaus. Und dann geht es für viel weiter zum regen Nachtleben der Insel.
Die CD-Reihe mit dem Titel «Café del Mar» wurde vom Resident-DJ José Padilla ins Leben gerufen. Seine Konzeptkompilationen mit einem Musikmix aus Electronica, Latin, Jazz, Soul – Musik, die er im Café spielte – sind ein grossartiges Beispiel gelungener Programmmusik und prägten, was man «Chill out» nennt. Als Padilla 1996 aufhörte wurde die Reihe von Bruno Lepetre weitergeführt.
Neben der «Café del Mar» Reihe gibt es unter dem Namen weiter Reihen mit ähnlichen Stilrichtungen als Schwerpunkt. Von den mittlerweile 26 CDs in der Hauptreihe sind hier die ersten acht enthalten.
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Studio 1: Studio 1
CD-Compilation mit Tracks aus den zehn um 1996 erschienenen Maxis mit Farbnamen: Grün, Gelb, Rot, Blau, Orange, Silber, Rosa, Lila, Hellblau und Gold. Zum Teil sind die Tracks etwas kürzer als auf den Maxis, doch die CD weist als Mehrwert vier exklusive Tracks auf («Neu 1 bis 4»).
Die Farb-Maxis waren wegweisende Musik für Köln als Techno-Stadt und ein Blueprint für das Minimaltechhouse-Genre. Weniger konzeptuell als die sperrigeren Profan-Releases von Voigt und ein direkter Vorläufer für die Total-Reihe von Kompakt.
Die Musik von Studio 1 wird oft als Minimaltechno bezeichnet. Im Unterschied zu Minimaltechno hören wir hier diese federnden, galoppierenden Bässe, die ein «Signature Sound» für das Techhouse-Genre sind, jene Synthese von weichem House und hartem Techno. Deshalb werden in Musikzimmer die Studio-1-Releases als «Minimaltechhouse» geführt. Und mehr noch: Als die ersten Minimaltechhouse-Releases sind sie die Blaupause für diesen Stil und Wolfgang Voigt erhält damit die historische Bedeutung, die ihm zusteht.
Man findet hier vieles in Ansätzen, was die spätere Kompakt-Musik ausmacht. Die federnden Bässe, die aufgeräumten minimalen Beats, den Dub («Lila 3»). Voigt formuliert hier die funktionale musikalische Sprache, im Echoraum seines Kreis von DJs wie Michael Mayer und Tobias Thomas und dem Delirium/Kompakt-Plattenladen entstand daraus der charakteristische und erfolgreiche Kölner-Sound.
Covergestaltung
Die Covergestaltung ist sprechend: Man sieht aufgeräumte gelbe Kreise (Scheinwerferlichter?, Platten?), wo die späteren Total-Releases von Kompakt die Kreise farblich innerhalb eines bestimmten Farbsegments variieren und sie etwas diffuser anordnen (mit Lücken). Das Cover gibt die Musik auf perfekte Art wieder. Sie ist synästhetisch.
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Broken Record: James Blake
James Blake bringt am Freitag, dem 9. September 2023 sein neues Album Playing Robots Into Heaven heraus. In dieser Folge des Broken Record Podcasts spricht Leah Rose mit Blake über das neue Album und über seine zahlreichen Kollaborationen mit Personen wie Rosalía oder Andre 3000. James spricht über seine Depressionen, die ihn bei der Arbeit hindern, über das Kinderhaben und über einen Ratschlag von Rick Rubin, der sein Leben veränderte.
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Steve Sullivan: Down Home Rag 1897–2005
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CD-Reihe: The British Invasion: The History Of British Rock
Diese Reihe von Rhino besteht aus neun CDs mit je 20 Tracks.
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Uwe Ebbinghaus (Hrsg.) & Jan Wiele (Hrsg.): Drop It Like It's Hot. 33 (fast) perfekte Popsongs
Ein Buch mit Essays von Feuilletonist*innen, die über ihre Lieblingssongs schreiben. 33 Texte zu ebensovielen Popsongs, die zuerst in der FAZ-Reihe «Pop-Anthologie» in den Jahren 2016–2021 erschienen sind. Nur der Essay zum Lied der Rolling Stones ist eine Erstveröffentlichung. Man kann jubeln, dass die Popmusik endlich salonfähig wird und dass der Reclam Verlag mit diesem Buch die Einführungszeremonie dokumentiert. Oder man kann sich fragen, was mit der Ankunft von Pop im Feuilleton gewonnen ist und für wen.
Die Stellung von Pop und Kunst
Das Vorwort der beiden Herausgeber steht unter dem Titel: «Sie können ja wirklich singen». Es lotet die Stellung von Pop im Feuilleton aus. Es beginnt mit einem historischen Kontrastprogramm, der Beatlemania. 1964 habe das FAZ-Feuilleton abschätzig und ignorant von einer «landesweiten Mistkäferplage» geschrieben. Mittlerweile aber ist Pop ein positives Thema für die Kulturredaktionen geworden. Ist Pop deshalb gleichwertig mit der Hochkultur oder muss Pop sich dem hochkulturellen Zugriff entziehen, um seinen Status als «Paukenspiel und Triebabfuhr» zu verteidigen? In der «Pop-Anthologie» der FAZ, so legen die beiden Herausgeber dar, wird für Leser*innen geschrieben, die sich (a) für Pop interessieren, die (b) denken, dass Pop Kunst in dem Sinn ist, dass man Lieder interpretieren kann und muss, ohne dass (c) deshalb notwendig alles an Pop zur Kunst erklärt wird. Was aber ist Pop und was an Pop kann Kunst sein, so dass Pop Feuilleton-würdig wird? Hier finden die Herausgeber verschiedene Antworten:
Erstens schreiben die Herausgeber Pop die Rolle der Brechtschen Verfremdung zu. Wer singen, wer spielen kann, kommt für Pop nicht infrage. «Hören's auf, hören's auf. Sie können ja wirklich singen!» zitieren sie eine Anekdote von Bertold Brecht und setzen sie als Titel. Pop strahle nicht durch Kompetenz, sondern durch einen Verfremdungseffekt, der aus dem Epischen Theater bekannt ist. Modell, ohne dass die Herausgeber das explizit sagen, ist also die Dreigroschenoper, deren Songs nur funktionieren, wenn sie von vokaltechnischen Antitalenten gesungen werden.
Pop oder vielmehr guter Pop sei zweitens ein Modus der zweckentfremdeten Brauchbarkeit. Ein Modell für diese Erkenntnis ist die Pop-Art, die Gebrauchsgegenstände des Alltags als Material für Kunstwerke verwendet. Was sich bei dieser kultursemiotischen Sichtweise aufdrängt, sind die Popsongs, die in der Oper oder im Theater verwendet werden. Als Christian Spuck Büchners «Leonce und Lena» als Ballett im Zürcher Opernhaus aufführte – dieses Beispiel stammt nicht von den Herausgebern –, verwendete er darin prominent A Little Bitty Tear von Burl Ives (siehe den Trailer der Aufführung). Spuck macht Kunst, Ives war Pop. Klare Grenzen, garantiert durch die Institutionen, die die Werke hervorbringen. Die Herausgeber verwenden ein weit fragwürdigeres Beispiel, nämlich den Depeche Mode Song Personal Jesus, der in der Interpretation von Johnny Cash zur Kunst werde. Zur Kunst wird die Coverversion durch die Bezüge zu Cashs Leben und seinem Lebenswerk. Wichtig sei die «performance», die Aufführung. Das Beispiel ist unscharf, denn man fragt sich, weshalb Cash ein Garant für Kunst sein soll, war doch auch er zeitlebens im Feld von Pop tätig.
Drittens sprechen die Herausgeber von Popsongs als Schnäppchen für Lyriksuchende. Lyrik und Lyrics sind nicht dasselbe. Den Unterschied macht, dass gute Popsongs gar nicht Lyrik sein wollen (sonst hätten sie schon verloren). Eine Hörer*in soll ungezwungen zuhören können (was eine Art der Freiheit sei). Auf der naiven Ebene des Zuhörens – Lyrik «widerfährt, ohne sich aufzudrängen» – wird Pop zu einem Ereignis in der Wahrnehmung einer Rezipientin oder eines Rezipienten.
Gedanken zum Buchtitel
Die behandelten Popsongs sind fast perfekt, nicht perfekt. Die Klammer im Titel steht dabei vermutlich zur Erzeugung von doppeltem Sinn. Man liest zweierlei: Es sind erstens perfekte Popsongs. Zweitens sind sie als solche keine perfekte Kunst. Man kann die Einklammerung des «fast» als Unentschiedenheit lesen. Oder als ein Nacheinander von Sinnlichkeit und Verstand, Wahrnhemung und Denken, Vernunft und Urteilskraft. Man muss den Titel zuerst ohne, dann mit Klammer lesen: Ohne Klammer drückt er das bewusste Bejahen und die emphatische Übertreibung aus, die das Wohlgefallen von Popsongs begleitet. Die Anziehungskraft von Pop ist unbedingt, das Kind in uns, das Unbewusste, die Lust hält guten Pop schnell für perfekt. Mit der Klammer kommt das Nachdenken über den Song und über uns selbst ins Spiel. Es relativiert die primäre und unbedingte Bejahung. Diese Relativierung aber fehlt bei den schönen Künsten, die im Feuilleton thematisiert werden. Warum nur? Die Antwort muss wohl sein, dass die Künste, die das Feuilleton verhandelt, schon immer in Reflexionsprozesse eingelassen sind. Es gibt einen öffentlichen Diskurs über sie.
Das «fast» bringt zudem eine «listige Bescheidenheit» zum Ausdruck, wie die Herausgeber es nennen. Im Pop wird nur gespielt, so getan als ob (man Kunst machte). Pop will gar nicht perfekt sein, sondern immer nur fast perfekt. Pop ist damit zu einem postmodernen Spiel relegiert, lustvoll aber schliesslich unbedeutend, wenn nicht eine ernste Kunst Pop verwendet und die Höhen der Kunst erhebt.
Gedanken zu Pop und Feuilleton
Das Feuilleton sind die Seiten in einer Zeitung wie der FAZ, die für denkende und lesende Menschen geschrieben sind. Auch diese Menschen mögen heute zuweilen Pop, allerdings reagieren sie meistens auf die Lyrics und seltener auf die Musik. Soweit, alles in Ordnung. Was hier mit keinem Wort erwähnt oder in Frage gestellt wird, ist der Wert der im Feuilleton behandelten Kunst. Sie ist natürlich eine Selektion, die auf Wertung beruht. Im Feuilleton wird relevante Kultur verhandelt, reflektiert. Aber was heisst «relevant»? Im deutschen Sprachraum gilt noch immer die Formel: Feuilleton ist Hochkultur. Anders gedreht: Feuilleton ist Kultur der Elite oder der Eliten. Die erste Formel definiert sachlich, die zweite sozial. Im Vorwort werden diese beiden Ebenen nicht sauber getrennt. Wenn die Elite beginnt, Pop zu akzeptieren, Pop zu hören und Pop zu mögen, dann wird Pop in sozialer Hinsicht Teil der Hochkultur. Geschehen ist das zuerst in den USA in den 1970er Jahren. Jimmy Carter war der erste Rock liebende Präsident. Im Vereinigten Königkreich kam in den 1990er Jahren mit Tony Blair eine vergleichbare Person an die Macht. Pop wurde in den letzten 50 Jahren zunehmend zu einem Gegenstand, der von einer breiten Öffentlichkeit (und damit auch den Eliten) wahrgenommen wurde. Sachlich hingegen macht man den wertenden Unterschied zwischen Pop und Hochkultur.
Am prinzipiellen Unterschied zwischen Pop und Hochkultur ist etwas Grundsätzliches falsch oder verschoben: Jede Art der Kunstproduktion, bringe sie Werke der populären oder der schöne Künste hervor, bringt eine kleine Zahl bedeutender Werke hervor und produziert Schrott in grossem Mass. Egal in welchem Feld künstlerisch gearbeitet wird, es sind nur ausgewählte Werke, die anderen Menschen, relevanten Kulturinstitutionen (Museen, Orchester, Verlagen, Labels usw.) tatsächlich etwas bedeuten. Aber es wird immer so getan, als würde Schrott nur im Pop produziert und wer eine Kunstakademie, eine Hochschule der Künste besucht hat, sei gefeiht davor. Aber es sind doch nicht Gattung, Genre, Stil, die auf gute und schlechte Kunstproduktion festgeschrieben sind! Vorwort und Buchtitel dieses Reclam-Bands verraten aber genau diese falsche Sichtweise.
Die schönen Künste haben gesellschaftlichen Institutionen wie Museen oder Opernhäuser, die eine Selektionsleistung vollbringen. Werke, die in diesen Kulturmaschinen aufgeführt werden, sind wertvoll. Wenn das Feuilleton darüber berichtet ist die Selektion bereits vollzogen. Pop hat keine vergleichbaren Kulturmaschinen. Die Hitparade vermutet man, ist es nicht. Museen gibt es fast nur in Amerika (die Hall of Fames). Wenn Feuilletons über Pop schreiben, haben sie als Masstab keine Institutionen, sondern nur den eigenen Geschmack oder die Hitparade. Erstes ist problematisch: Es ist, als würde nicht die relevante Literatur thematisiert, sondern die Ferien- und Bettlektüre der Journalist*innen. Wenn Pop ins Feuilleton kommt, dann schreiben diese Autor*innen über ihre Ferien, Freundinnen oder dass sie mit eingegipstem gebrochenem Arm am ersten Rolling Stones Konzert ihres Lebens waren (z.B. Maik Brüggemayers in Pop. Eine Gebrauchsanweisung). Der Schrott der Journalist*innen sollte nicht auf die Musik, die verhandelt wird, abfärben. Wenn Journalist*innen über die in den Hitparaden erfolgreichen Songs schreiben, machen sie sich der Komplizenzschaft mit dem Populismus schuldig. Doch dass der Populismus als eine der schlimmsten Sünden ist, ist nur in der Logik der Hochkultur ein Vorurteil, nicht die Logik von Pop. (Man muss hier natürlich sagen, dass es nicht nur eine Logik von Pop und eine Logik von Hochkultur gibt, sondern dass sie zeitlich und sozial variiert.)
Dass Sachfragen rund um Pop und Feuilleton so brennen, ist vielleicht eine deutsche Eigenheit. Da ich keine französischen Zeitungen lese, weiss ich nicht, wie das dort ist. In den USA und England gibt es diese Debatte kaum. Ich vermute sie kommt daher, dass in Deutschland bei Pop-Journalist*innen seit spätestens Diedrich Diederichsen eine Wille zum Feuilleton feststellbar ist (siehe Musikzimmer). Theorie-besessene und Theorie-begabte Autor*innen wie Diederichsen wollten ins Feuilleton, strebten dies wie eine Adelung an. Die ökonomische Basis für diesen Willen zur Macht war vermutlich, der stark empfunden Druck durch die Strukturänderungen in der Branche. Diederichsen hat die Spex vom Fanzine zu einer Elite-Zeitschrift geführt. Spex jedenfalls ging ein. Ist die Leser*innenschaft wegen der Intellektualisierung des Magazins geringer geworden oder wegen dem Internet, das den Zugang zu Informationen zur Musik demokratisiert und aus den Händen der Gatekeeper in den Kreisen der Musikjournalist*innen gerissen hat?
Fazit
Schaut man sich die Sache aus der Perspektive von Pop an, kann man sagen, Pop ist es egal, ob es im Feuilleton vorkommt oder nicht. Pop hat nichts dagegen, von Intellektuellen gekauft und gehört zu werden. Pop strebt indes nicht danach, intellektuell seziert zu werden. Ich glaube, das würden die Herausgeber dieses Bandes auch so sehen. Was sie weniger sehen, sind die Voraussetzungen der Stoffe des Feuilletons und die ästhetische Wertung, die die Gesellschaft vornimmt. Es ist die alte hochkulturelle Überheblichkeit, die immer noch spielt, wenn Pop lediglich das beiläufig Aufgeschnappte darstellt. Als solches ist Pop die Lizenz für Feuiletonist*innen, autobiografisch statt sachlich zu schreiben.
Querverweise
– zur Liste mit den 33 Songs und zur zugehörigen PLAYlist
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CD-Reihe: Kompakt: Total
«Es ist eine schöne Tradition geworden, TOTAL-Compilations zu erstellen. Es fühlt sich an, als würde man seine Fotos am Ende des Jahres durchgehen. Erinnerungen kommen mir wieder in den Sinn, wenn ein bestimmter Track Eindruck bei mir hinterlassen hat, oder der gleiche Track ein Highlight in meinen DJ-Sets wird. Jeder Track hat eine Geschichte zu erzählen.» – Michael Mayer @ Fazemag
Die (fast) jährlich erscheinenden Total-Compilations fassen die Maxi-Veröffentlichungen des Kölner Kompakt Labels zusammen. Die erste Total CD erschein 1999, die neueste Total 23 am 1. September 2023.
Das Kompakt-Label hat sich seinen Namen mit einer eigenen Musik gemacht, einem Minimaltechhouse mit Popappeal: federnd leichte, zuweilen knarzende 4/4-Rhythmen mit Shuffle-Beats, darüber ätherisch-abstrakte Remineszenzen von etwas, das ein Pophit sei könnte – perfekte und betörende Clubmusik für die Zeit nach dem Millennium.
Erstaunlich an der Kompakt-Geschichte ist, wie alle Produzenten die Vision des Labels vertreten. Das soll nicht heissen, dass sie alle gleich klingen, sondern dass sie wie eine gut funktionierende Band bei allem, was sie tun, das Label, die gemeinsame Sache mit im Blick haben. Wie einige Bands haben sich die Kompakt-Produzenten Mitte der 1990er Jahre im Plattenladen getroffen, im «Delirium», einem kleinen auf Electronica spezialisierten Laden. Im Anfang waren Jörg Burger, Ingmar Koch (ein Teilvon Air Liquid), Jürgen Paape, Reinhard Voigt und Wolfgang Voigt. Mit den Jahren wurde die Familie grösser als Produzenten und DJs wie Michael Mayer, Superpitcher oder Jonas Bering (aus Lille) hinzu stiessen.
Die ersten fünf Veröffentlichungen der Serie waren einfache CD-Compilationen. Ab «Total 6» kamen die Kompilationen in der Regel als Doppel-CD. Ausnahmen waren «Total 12» und die letzten «Total 21» bis «Total 23».
Links
– Michaelangelo Matos: A Guide to All 20 Volumes of Kompakt’s «Total» Series (Bandcamp, 26. August 2020)s
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CD-Reihe: Tresor: Globus Mix Serie
Die «Globus Mix Serie» ist eine Techhouse Serie vom Tresor Label aus Berlin. Sie umfasst sechs Mix-CDs, darunter je eine von Herbert und Daniel Bell, die zur Liste der Referenz-Veröffentlichungen von Musikzimmer im Bereich: DJ-Mixes gehören.
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Fleetwood Mac: Oh Well, Part 1
«Oh Well» war neben Albatross der grösste Hit von Fleetwood Mac in der Zeit mit Peter Green. Der Song ging im UK auf Platz 2, in den Neiderlanden auf Platz 1 und sogar in der Schweiz auf Platz 6.
Struktur
«Part 1» und «Part 2» sind völlig unabhängig voneinander. Die Stücke heissen gleich, aber haben keine musikalischen Gemeinsamkeiten. Insofern ist «Oh Well» eine Suite von zwei Stücken. wobei der zweite unbekanntere Teil mehr als doppelt so lang ist wie der erste. Der zweite Teil klingt nach Filmmusik im Stil von Ennio Morricone. Part 1, ein stop-and-go Stück, basiert auf einem Blues- und zwei Hardrock-Riffs, die hintereinander geschaltet sind und von beiden exzellent zusammen spielenden Gitarristen Peter Green und Danny Kirwan gespielt werden. Die Verses – falls es sich um solche handelt – werden a-cappella gesungen, abgesehen vom punktuierten Cowbell Spiel von Schlagzeuger Mick Fleetwood.
Der Titel «Oh Well» wird im A-Teil am Ende des Blues-Riffs gesungen, just vor dem Hardrock-Riff. Man kann sich fragen, ob dadurch der A-Teil der Chorus einer Simple Verse-Chorus Struktur sei.
Varianten
Es gibt mindestens vier Varianten des Songs:
– zwei verschieden lange Single-A Versionen, «Oh Well, Part 1», entweder ohne (Dauer: 2:22) oder mit Coda bestehend aus einem Teil des «Part 2» (Dauer: 3:22) – der Youtube-Stream
– Oh Well, Part 2, die B-Seite der Single (Dauer: 5:39)
– die lange Version auf der amerikanischen Ausgabe des Albums Then Play On (Dauer: 8:56) – diese Version umfasst «Part 1» und «Part 2», die sehr unterschiedlich sind!
Die lange Version ist durch aneinanderfügen von Part 1 (lang) und «Part 2» entstanden. Man kann das als ein Fehler sehen. Da die Coda der langen Single-Version mit dem Anfang von «Part 2» identisch ist, wird dieser Anfang in der langen Version zwei Mal gespielt.
Stilistische Ambivalenz
«Oh Well» ist ein stilistischer «Hotch-potch», was typisch für die postpsychedlische britische Rockmusik ist. Der Blues gleitet mühelos in Heavy- oder Hardrock hinüber und das Stück endet mit einem langezogenen Progfolk-Teil. Es wird kein bestimmtes Genre bedient, vielmehr bleibt die Nummer ambivalent, ist Bluesrock, Hardrock und Progfolk zugleich.
Bemerkenswert ist «Oh Well, Part 2» mit seinem kammermusikalischen Arrangement aus Blues-Gitarren, Cello und Flöte. Der Teil ist sparsam arrangiert und besteht selbst aus mehreren Teilen: Zuerst ein Duo mit akustischer und Reverb-verhangener elektrischer Gitarre. Die akustische Gitarre spielt eine Figur, deren Länge variiert. Die Flöte begleitet die akustische, das Cello die elektrische Gitarre. Das Arrangement nimmt etwas von der späteren Musik von Mike Oldfield vorweg. Nach dem Finale des ersten Teils von «Part 2» gibt es einen langen Break, bevor der zweite Teil einsetzt. Dieser ist eine Duo zwischen akustischer Gitarre und Cello. Der dritte Teil ein Trio zwischen Gitarre, Schlagzeug und Cello. Im vierten Teil, der Coda, kommen Flöte und Piano kurz zurück – das Piano für eine Picardische Terz.
Lyrics
Die Lyrics sind aus einer brutal aufrichtigen Position verfasst. Sie sind ein gutes Beispiel für den Sardonismus in der Rockmusik. Zuerst spricht das lyrische Ich über sich selbst und beschreibt schonungslos eigene Schwächen. Dann wird ein Adressat angesprochen und davor gewarnt, sich überheblich zu wähnen Die grossartigen Zeilen
But don't ask me what I think of you I might not give the answer that you want me tolässt durchblichen, dass die angesprochene Person ebenso schonungslos abgekanzelt würde. Die zitierten Zeilen sind der Refrain beider Verses.
«Oh Well» lässt sich mit «Na ja» oder «Tja» wiedergeben. Man setzt dieses Ausdruck in einem Gespräch als verbalen Seufzer ein, um eine skeptische Anerkennung der Situation oder des Gesagten auszudrücken. Ein «so ist es eben», eine typisch sardonische Interjektion!
Intertextualität
Das Riff erinnert entfernt an Baby Please Don't Go (ohne den Walking-Bass). Das Stop-and-Go-Spiel wird von JimmyPage in Black Dog aufgenommen.
Links
– Dave Simpson: How to play like Peter Green - Episode 8 - Oh Well Part 1 (Youtube, 15.6.2018)
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Roger Waters als Sardoniker
Das Wort «sardonisch» bedeutet grimmig, boshaft, mit einem verzerrten Gesichtsausdruck, der zeigt, dass Sardoniker*innen keine Zyniker*innen sind, denn sie erheben sich nicht wie diese über die Welt und die anderen, sondern leidet selbst an ihr, sich selbst und den anderen.
Jean-Michel Guesdon und Philippe Margotin sprechen in Pink Floyd All the Songs: The Story Behind Every Track an drei Stellen vom Sardonismus, um Roger Waters' Texte zu charakterisieren, z.B. bei «Jugband Blues». Sie schreiben, wie viele andere Autoren, dass Pink Floyd eine Band des Gegensatzes zwischen süsser Musik und bitteren Texten («the saccharine and the sardonic») seien. Dieser Gegensatz hat sich zum Topos verfestigt und trieb einen Keil zwischen die Bandmitglieder und die Fans.
Das Werk von Pink Floyd ist voller Schreie (exemplarisch der markerschütternde «inhale scream» von Waters in Careful With That Axe, Eugene) und voller Lacher (exemplarisch das Lachen des Verrückten auf The Dark Side of the Moon – von Roadmanager Peter Watts). Diese Schreie und Lacher lassen sich als sardonsich charakterisieren. Emotionale Reaktionen auf die moralische Verdorbenheit der Welt. Die Schreie sind wehleidig, d.h. sie drücken ein Leiden des Erzählers mit aus. Sardonismus ist entweder ansteckend oder immunisierend: Entweder leiden wir empathisch mit oder aber wir können den Schmerz nicht ausstehen, blenden ihn aus.
Die früheste Spur für den Sardonismus von Waters ist der frühe Bandname: «The Screaming Abdabs» (dem Sinn nach: «Die schreienden Angstattacken»). Abdabs ist ein Wort, das nur im Plural vorkommt, es bedeutet extreme Gereiztheit oder Nervosität. In den USA kennt man den britischen Ausdruck «abdabs» als «heebie-jeebies». Andere Ausdrücke dafür sind «the creeps», «the willies», «the collywobbles». Die «Heebie-Jeebies» sind ein Songtitel im Jazz z.B. bei Louis Armstrong. Der Mann jedenfalls, der seine Band «The Screaming Abdabs» nannte, schrie und kreischte auch bei Pink Floyd noch immer. Er präsentiert sich in seinen Songs als ein Geplagter, der es versteht, andere anzustecken, falls sie willens sind, es und ihn auszuhalten.
Die Schreie und die unheimlichen Lacher im Werk von Pink Floyd können als Schreien und Lachen eines sardonsichen Erzählers gehört werden. Man fragt sich dabei, ob der Sardonismus eine Form der Tragik oder der Komödie sei. Tragödie und Komödie bezeichnen eine Form der Literatur (ursprünglich des Dramas). Plakativ: Tragisch ist, was im Tod, und komisch, was im Happy End endet. Die Tragödientheorie des Abendlandes besagt, dass Zuschauer*innen im Mitleiden mit den Figuren (oder dem Erzähler) eine Katharsis erleben. Katharsis heisst Reinigung. Wer sich mit dem schlimmstmöglichen Ausgang der Dinge befasst, wird geläutert und gestärkt aus dieser Erfahrung herausgehen.
Bei den Konzeptalben von Pink Floyd lässt sich eine Tendenz zum Happy End feststellen, obwohl über die grössten Teile des lyrischen Werks alles auf die Tragödie hinweist. Es sieht so aus, als würde die Geschichte im Tod, im Wahnsinn (TDSOTM, Wish You Were Here), im politischen Totalitarismus (Animals) oder mit dem Abwurf der Bombe (Final Cut) enden. Doch die Form des Schlusspunkts der epischen Werke von Waters ist ambivalent. Er reizt uns mit tragischen Vorstellungen, nimmt sie am Ende aber zurück. «Two Suns in The Sunset» von «Final Cut» scheint eine Ausnahme zu sein, aber – nein! – am Ende hört man eine Wetterprgnose für den kommenden Tag als wäre nichts geschehen.
Roger Waters Lyrics sind Zwangsgedanken und Mahnmale. Waters zeigt, was passiert, wenn es passiert. Er leidet, wir leiden, wir leiden an dem, was wir normalerweise wegschieben, woran wir nicht zu denken wagen.
Die Kategorie des Sardonismus bezeichnet nicht, wie das Ende ausgeht, sondern wie der Autor zum Werk bzw. der Erzähler zur Erzählung steht. Es ist eine pragmatische oder performative Kategorie. (Allerdings: Man liest den Sardonismus der Art der Erzählung und am Erzähler ab, wie man ihn aus dem Text rekonstruiert. Der Sardonismus ist doppelt bestimmt: Wir sagen: «Der Autor ist ein Sardoniker.» Aber wir sagen auch, der Text weist einen sardonsichen Erzähler auf. Streng genommen wissen wir nicht, ob der Autor eines sardonsichen Textes tatsächlich ein Sardoniker ist oder ob das eine Masche von ihm ist, eine Erzählstrategie.)
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