Musikzimmer von Christian Schorno: Inhaltsübersicht

Willkommen im Musikzimmer! Dies sind die empfohlenen Inhalte und Neuerscheinungen.

Tina Turner: Private Dancer

Dieser Song von Mark Knopfler war ursprünglich für das Dire Straits Album Love Over Gold gedacht, doch Knopfler fühlte sich nicht wohl, einen Song aus weiblicher Perspektive zu singen und eine Prostituierte zu verkörpern. So gab er seinen Song an Tina Turner, die ihn zum Titelsong ihrers 1984er Albums machte.
Besetzung
Als Backingband fungieren Dire Straits. Die Leadgitarre wurde aber nicht von Knopfler, sondern von Jeff Beck gespielt. Ein Beispiel von Mimikry, da Beck im Stil von Knopfler spielt.
Erfolg
Die Single erreichte in den Billboard Hot 100 Platz 7 und Platz 3 in den Rhythm and Blues Charts. In Grossbritannien erreichte die Single Platz 26 in der UK Singles Chart.

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Ike And Tina Turner: Nutbush City Limits

Ein Funk-Stomper über die engen Grenzen der bis dahin unbedeutenden amerikanischen Kleinstadt Nutbush, dem Heimatort von Anna Mae Bullock, die damals bereits seit mehr als zehn Jahren als Tina Turner bekannt war.
Der Titel war ein riesiger Hit in Europa (UK: #4, D: #2, CH: #2, A: #1), während er in den USA lediglich #11 in den Billboard R&B Singles Chart und #22 in den Billboard Hot 100 erreichte.
«Nutbush City Limits» war der letzte Titel von Ike And Tina Turner. Danach trennte sich das Paar.

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V. A. (Buddha) & Harry Belafonte: Harry Bellafonte Presents: The Long Road To Freedom. An Anthology Of Black Music

Mit diesem ambitionierten Projekt versuchte Harry Belafonte die Musik der Afromarikaner in der Zeit der Sklaverei bis zum Beginn der Aufnahmetechnologie zu rekonstruieren.
CD 1 enthält Tribal Chants, Shouts und Spirituals, CD 2 die Musik der Sklavenzeit bis zum amerikanischen Bürgerkrieg (1861-65), CD 3 die Musik nach dem Bürgerkrieg, CD 4 die Musik des 20. Jahrhunderts mit Street Cries, Mountain Hollers, Folk Balladen, Blues, Minstrel-Songs, CD 5 schliesslich Worksongs, Songs of Worship.
Die CDs und die DVD (das Making Of ...) kommen mit einem 140-seitigen Booklet, das neben den Linernotes allerlei Text- und Bildmaterial enthält.

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Ryuichi Sakamoto: async

Der Pitchfork-Rezensent Sasha Geffen fand wunderschöne Worte für dieses Album, in dem es um den Tod geht: «Mit Synthesizern, Klavieren, Statik und Streichern simuliert Async eine Struktur, die darum kämpft, ihre Form gegen die Verwüstungen der Entropie zu bewahren, wie ein sterbender Mensch, der versucht, von der Erde getrennt zu bleiben.»

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Chambers Brothers: Time Has Come Today [Album]

Die Chambers Brothers waren vier Brüder, die in Mississippi aufwuchsen und als Gospel-Chor anfingen. Als George Chambers, der älteste der Brüder, nach Los Angeles zog, reisten ihm die anderen bald nach. Zusammen mit einem weissen Schlagzeuger wurden sie eine der frühen Psychedelicsoul-Bands, die Soul mit Acidrock vermengten – sehr ähnlich wie Sly And The Family Stone.
Der Song «Time Has Come Today» wurde ihr einziger (kleiner) Hit. Er ist ein ausgezeichnetes Zeitzeugnis für das Jahr 1967 und wurde entsprechend oft, nämlich über 160 Mal, in Filmen, TV-Shows und in der Werbung eingesetzt (Pophistorydig).
Diffuse Veröffentlichungspolitik
Weil die Band in keines der herkömmlichen Musikformate passte, haderte das Label (Columbia) mit Aufnahme und Veröffentlichung des Songs. Das Zögern schlug sich darin nieder, dass vier Versionen des Songs von verschiedener Länge produziert worden sind. Die kürzeste, im September 1966 veröffentlichte Single war zweieinhalb Minuten lang. Als Flipside (Rückseite) fungierte der Track «Dinah». Der Erfolg blieb noch aus. Die späteren Versionen wurden alle länger. Die zweite Version kam im Dezember 1967 mit der Katalognummer 4-44414 und der Flipside «People Get Ready» in einer Länge von 4:45 heraus. Im Juli 1968 kam unter der selben Katalognummer mit der selben Flipside noch einmal eine Version heraus, die 3:05 dauerte. Die LP-Version vom November 1967 dauert 11 Minuten. Dies ist die Referenzversion, von der sie beiden späteren Singles abgeleitet sind. Erst die letzte Single Ausgabe von 1968 schient etwas Erfolg gehabt zu haben: 14 Wochen lang war «Tme Has Come Today» in den amerikanischen Charts und erreichte Platz 11. Bei den damals entstehenden Freeform Radio Stationen wurde «Time Has Come Today» auch in der langen Album-Version gespielt und ist ein Dauerbrenner geworden.
Radikalisierung aus dem Herzen
Der Song handelt von einem Aufbruch ins Outsidertum. Im ersten Verse verabschiedet sich der Erzähler von seiner Familie und der Gesellschaft. Diese Zeilen bringen den Generationenkonflikt der 1960er Jahre zum Ausdruck: «Young hearts can go their way / [...] / I don't care what others say / They think we don't listen anyway». Im zweiten Verse beschliesst der Erzähler auf der Strasse zu leben, nachdem in die Freundin verlassen hat und er aus der gemeinsamen Wohnung fliegt. Beide Verses laufen darauf hinaus, dass obwohl die Zeit kontinuierlich läuft, die Uhr im Song hörbar tickt, es Momente gibt, in denen man sich ausklinkt («man austickt») und die Zeit einen Punkt erreicht, an der sie einen Sprung macht. «Time Has Come Today» ist somit ein Zeugnis der Radikalisierung im öffentlichen und privaten Leben der Endsechzigerjahre. Da die Chambers Bothers stilistisch und von der gemischtrassigen Besetzung her zwischen den Stühlen sassen, kann man ihr «Time Has Come Today» sowohl als Hippie-haften Ausstieg aus der Gesellschaft als auch als politische Radikalisierung im Sinne der Black Panther Party hören. Der Aufbruch wird dabei als eine Angelegenheit des Herzens beschrieben («Young hearts» nicht «Young people»). Dann wird nachgesetzt, dass es den Erzähler nicht kümmert, was andere sagen: «I don't care what others say». In der Soziologie der 1950er Jahre, z.B. bei David Riesman wird der Gegensatz zwischen einer Aussen und einer Innenleitung thematisiert (siehe: The Lonely Crowd). Der amerikanische Mittelstand sei, so Riesman, geprägt von der Aussenleitung, d.h. dass die Menschen sich an statistischen Standards orientieren und an den Nachbarn, mit denen sie im Wettbewerb um ein besseres Leben stehen (Formel: «keeping up with the Joneses»). Im Gegensatz dazu ist ein Mensch, der sich im Herzen für etwas entscheidet, innengeleitet. Der Aussteiger-Erzähler im Song der Chambers Brothers ist genau so ein innengeleiteter Mensch, dessen «Herz» im sagt, was er tun muss, und der weiss, dass er nicht auf die anderen hören und schauen muss.
Der soziologische Gegensatz spiegelt sich auch im philosophischen Thema «Zeit». Man kann Zeit als etwas verstehen, das kontinuierlich dahin fliesst, versinnbildlicht am stetigen Ticken einer Uhr, das man vom Schlagzeuger der Band, Brian Keenan, am Anfang des Songs hört. Der gesellschaftliche Ausstieg, von dem erzählt wird, ist auch ein Ausstieg aus der kontinuierlichen Zeit. Die kontinuierliche Zeit wird am Ende des Songs unterbrochen. Wie eine Maschine, deren Antrieb aussetzt, wird die Zeit langsamer. Sie hält an. Dann wird die Soul-Nummer zum psychedelischen Freakout, zum disruptiven Erlebnis. Das Ticken des Schlagzeugs wird mit Echo-Effekten gestört, die dem eindimensionalen und monotonen Takt weitere Dimensionen verleihen.
Der Songtext ist nicht schwärmerisch, sondern realistisch, denn er spricht vom möglichen Scheitern des geplanten Ausstiegs. Es heisst «I might get burned up by the sun / But I had my fun». Diese Zeilen sind ein Zeugnis von der hedonistischen Seite des psychedelischen Rausches. Der gesellschaftliche Ausstieg und die Trips mit psychedelischen Drogen können einen Menschen verbrennen: Man hat schlechte Tripps oder kehrt nicht mehr zurück und wird psychotisch. Der Preis ist möglicherweise hoch, doch es lohnt sich wegen dem Fun-Factor. Der Generation der Babyboomer ist ein doppeltes Gesicht eingeschrieben. Es ist eine materiell verwöhnte Generation, deren Protest gegen Eltern und Gesellschaft kein persönliches Opfer sein soll, sondern Spass machen muss. Das unterscheidet sie von früheren Aussteigern, die zum Beispiel Partisanen wurden und unter Einsatz des Lebens für eine Sache kämpften. Der Ausstieg ist zugleich ein Einstieg in die hedonistische Spassgesellschaft.
Der Song enthält eine Interpolation von The Little Drummer Boy.
Das Album kam im November 1964 heraus.
Songstruktur
Intro: Schlagzeug spielt das Tick Tack einer Uhr, dann kommen zwei Gitarren dazu. Eine, die auf dem ersten Beat spielt, ist extrem verzerrt (Stichwort Fuzz) – ausgezerrt (so verzerrt, dass man den Ton fast nicht mehr erkennt). Die andere Gitarre ist leicht verzerrt und klingt melodisch hell. Zusammen spielen sie ein Riff.
Es folgen zwei Verses, die nicht sehr melodisch sind. Sie sind gerappt, wenn man rappen als Sprechgesang versteht. «Bellen» wäre auch ein treffendes Wort.
Chorus mit Post-Chorus: Der Chorus hat die selbe Länge wie ein Verse - im Kern eine Simple-Verse-Chorus-Struktur
Inter2 verlangsamt das Tick Tack: Versinnbildlichung der kontinuierlichen Zeit, was auf sie folgt ist die disruptive Zeit – die Revolution, ein neues Zeitalter!
Bridge: Freakout, psychedelische Improvisation, dauert mehr als die Hälfte des Songs. Elemente des Songs werden genommen und durch Echo- und Reverb-Effektgeräte gejagt.
Drums: tick-tack => Tribaler Rhythmus, 2/2 Takt wird 8tel / 16tel Takt, starker Backbeat auf drittem Viertel, gespielt auf den Stand-Toms
Die Fuzz-Gitarre beginnt ein Solo zu spielen und benutzt eine dorische Tonleiter (die weissen Klaviertasten vom D an). Das verleiht der Musik eine orientalische Stimmung. => das «Little Drummer Boy» Zitat.
Die Gitarre macht einer alptraumartigen Szene Platz mit Schreien und teuflischem Lachen (6:50), später, wenn die Gitarre wieder einsetzt klingen die Schreie wie die von spukenden Gespenstern => Repräsentation eines «bad trips»

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Simon And Garfunkel: America

Die Lyrics von «America» kommen mit einer Ausnahme ohne Reime aus, was man «straight prose» nennt.
Der Song gibt die gemeinsame Reise eines jungen Paars wieder, auf der Suche nach Amerika: Der erste Verse, der mit einem Scherz beginnt, steht unter dem Zeichen eines Aufbruchs, doch das Scheitern ist schon angedeutet: Vier Tage hat das Autostoppen von Saginaw bis Pittsburgh gebraucht. Das sind 600 km, man benötigt im Auto dafür einen halben Tag. Die zweite Strophe spielt im Bus. Das junge Paar ist mit sich selbst und Tagträumen beschäftigt, so langweilig ist die Reise. Die dritte Strophe spricht dann von der inneren Leere des Erzählers, die er seiner Partnerin, Kathy, offenbart, während diese schläft! Diese Leere wird oft mit der Leere gleichgesetzt, die Benjamin Braddock gespielt von Dustin Hoffman im Film The Graduate empfindet. Diese Leere dürfte ein Generationsthema gewesen sein: Viele amerikanische Hippies sind in langweiligen Suburbs aufgewachsen, die ihnen uneträglich waren.
Metrum
Der Song ist auf clevere Weise sowohl ein 3/4 als auch ein 6/8 Takt.

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VHS Vorlesung: Pink Floyds «The Dark Side of the Moon»

Heute am 24. März vor 50 Jahren kam in Europa Pink Floyds The Dark Side of the Moon auf den Markt.
Im Mai bringt die Volkshochschule meine Vorlesung über das Album.
Es gibt schon viele Anmeldungen – vielen Dank!

«The Dark Side of the Moon» war 1973 die beste Testplatte für Stereoanlagen. Es setzte mit seiner Hörspiel-Qualität einen neuen Standard für progressive Rockmusik und mutet im Rückblick wie ein Horrorkabinett der Ängste der Mittelklasse an: Überarbeitung, Geldsorgen, Existensängste, Sozialphobien etc. Die Vorlesung befasst sich mit der langen Entstehungsgeschichte des Albums. Die Motive führen zurück zu den Anfängen der Band im psychedelischen Untergrund Londons und in die Zeit des europäischen Progressive Rock.
Ich freue mich bereits seit fünf Jahren auf diese Vorlesung: Damals, 2018, las ich an der VHS «Folk und Blues im Wunderland», eine Vorlesung über die psychedelische Musikszene San Franciscos am Ende der 1960er Jahre. Nun kommt endlich das Ergänzungsstück, das vom psychedelischen Untergrund Londons handelt und davon, wie eine der erfolgreichsten Bands dieser Szene 1973 richtig gross herauskam.
Am dritten Abend werden wir uns das Album in glorioser Quadrophonie anhören.
Daten
Mo 08.05.2023 19:30 - 21:00 drei Wochen lang bis am 22.05.2023
Zur Anmeldung folgen Sie dem Quellen/Inspirations-Link unten.

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Uriah Heep: Gypsy

Debut Single von Uriah Heep. Die Single war signifikant kürzer editiert (3:03) als die Album-Version (6:37).
Lyrisch eine Liebestragödie. Das dramatisch leidende «Aah» fungiert als eine Art Refrain.
Das Besondere an diesem Song war die Hammondorgel (plus Leslie), die das wichtigere Solo spielt als die Gitarre.
Strukturell eine Simple Verse Form mit langem (LP) oder kurzem (Single) Zwischenspiel. Dieses Zwischenspiel ist keine Bridge und der Song keine AABA-Form, da es auf dem selben Gitarrenriff basiert, wie Intro, Verses und Coda.

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Excavated Shellac

«Excavated Shellac» heisst der Musikblog von Jonathan Ward aus Los Angeles, einem Sammler von alten Schellackplatten aus mehr oder weniger exotischen Ländern (also nicht Amerika und nicht dem UK).
Seine Sammlung bildet ein unvergleichliches Korpus für ethnische Musik aus einem schmalen Zeitfenster, die unter ganz besonderen Umständen entstanden ist. In den 1920er Jahren begannen die Plattenlabels damit, lokale Musik aus allen möglichen Ländern aufzunehmen und zu veröffentlichen. Diese Praxis führten sie weiter, bis in den 1930er Jahren die Weltwirtschaftskrise und der Zweite Weltkrieg dieser Tätigkeit ein Ende setzten.
Das Geschäftsmodell hinter diesen Platten
Warum nahmen Labels lokale Musik auf? Klingt nicht nach einem sehr lukrativen Geschäft, nicht wahr? Sie nahmen da keine Hits oder wenn schon nur lokale Hits auf. Warum also? Sie taten es aus einem einzigen triftigen Grund, nämlich um Plattenspieler verkaufen zu können. Plattenlabels waren damals die hauptsächlichen Hersteller von Plattenspielern. Bzw. umgekehrt: Die Gerätehersteller bauten unter ihrem Namen selbst ein Repertoire von Platten auf, damit niemand sagen konnte: «Ich brauche keinen Plattenspieler, denn meine Musik gibt es gar nicht auf Platte.» Die grossen amerikanischen Plattenlabels der 1920er Jahren waren Columbia, Brunswick und Victor («The Big Three», wie man sie auch nannte). Hinzu kam die europäische Musikindustrie: in England HMV (His Masters Voice) und Columbia Graphophone Company, die spätere EMI, in Frankreich Pathé, in Deutschland Lindstrom und das Sublabel Odeon.
Korpus
Mit den von Ward gesammelten Schellackplatten liegt ein unvergleichlicher Schatz ethnischer Musik vor, Musik, die kaum globalisiert ist. Da hört man Stimmakrobatik und fremdartige Instrumente spielen, ohne dass ein Breakbeat drunter gelegt ist. Authentisch ist sie deshalb nicht, denn oft musste die Musik gekürzt werden, damit sie auf Schellack passt oder Instrumente wurden ersetzt, damit die Aufnahme überhaupt gelang. Nichtsdestotrotz entstand ein einzigartiger Bestand – ein Korpus – von Musik, unmittelbar bevor es wie heute internationale Märkte gab. Und es sind ein paar wenige Jahre, in denen diese Tätigkeit stattgefunden hat. Das Korpus ist also wie ein Bild der Musik der Welt in einer ganz bestimmten Epoche.
Blog: Excavated Shellac
Jonathan Ward veröffentlicht seit April 2007 Perlen aus seiner Sammlung auf dem Blog Excavated Shellac. Er schrieb zu jedem veröffentlichten Stück alles auf, was er über die Musik, die Musiker*innen und die Tätigkeit der Labels in der Region oder dem Land wusste.
Archivrelease «Excavated Shellac» bei Dust-To-Digital
Das auf die Digitalisierung von alten Schellackplatten spezialisierte Label Dust-To-Digital hat bisher vier Archivreleases mit Perlen aus Wards Sammlung veröffentlicht. Die beiden ersten versammelten ausgewählte Instrumente: Reeds und Strings. Der dritte Release Opika Pende mit Platten aus Afrika und Excavated Shellac: An Alternate History Of The World's Music von 2020 mit Platten aus der ganzen Welt. 100 Musikstücke im Digitalformat oder auf vier CDs gebrannt, zusammen mit einem extensiven Booklet. Dieser Release war im Rahmen der «64th Annual Grammy Awards» in der Kategorie «Best Historical Album» nominiert.
Links
– Jonathan Ward: Excavated Shellac (Musikblog)
– Norient: Lonely Artists Today: Jonathan Ward

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Lana Del Rey: A&W

«A&W» ist eine amerikanische Bier Marke. Der Song hiess ursprünglich «American Whore». Als Product Placement wird er wohl eher am amerikanischen Radio gespielt als mit einem Titel, der Klartext spricht. Lana Del Rey schlüpft in ihrem neuesten Song in die Haut einer Sexworkerin. Wie stets stehen ihre Figuren als exemplarische Vertreter*innen der Gattung des homo americanus. Nathalie Djamila Noll schreibt in einem Feature im Musikexpress: «Kaum eine Künstlerin bündelt das Lebensgefühl der Millennials so gekonnt wie sie. Vollgepackt mit Metaphern und Verweisen auf Pop und Literatur erkundet Del Reys Musik ihren eigenen Traum der USA – oder was davon noch übrig ist.» Wie Joan Didion in den 1960er Jahren dokumentiert die Sängerin das Leben an der Westküste, berichtet aber nicht authentisch oder netral, sondern überhöht die beobachteten Selbstentwürfe zu eigentlichen Kunstfiguren. Die «A&W» im Song macht sich nichts vor und sagt von sich, dass es nicht mehr darum gehe, jemanden zu haben, der sie liebt. Sie weiss, was sie ist: «It's not about havin' someone to love me anymorе / This is the experiеnce of bein' an American whore». Sie akzeptiert ihren Status am Rand der Gesellschaft. Offenbar ist sie im Modus des Überlebens und wer dort angekommen ist, hat keine Energie mehr, für ein anderes Leben zu kämpfen, hat keine andere Antwort mehr für ihr Dasein als die Feststellung, dass sie so ist und dass sie ihr Sosein mag. Das ist der Stolz, der am Nullpunkt bleibt:

Ask my why, why, why I'm like this
Maybe I just kinda like this
I don't know, maybe I'm just like this.

«A&W» ist wie die Essenz von Lana Del Reys Songwriting-Kunst. Hier ist alles kondensiert, was die einen guten Lana Del Rey Song ausmacht: die Melancholie, die Nostalgie, das Pathos, die Illusionslosigkeit, die fehlende Ironie oder Authentizität, die zentral für die musikalische Kunst früherer Generationen war.
Songstruktur
Der Song besteht aus zwei Teilen, der erste eine Contrasting Verse-Chorus Form mit Pre-Chorus, der zweite – mehr Track als Song – eine Sequenz mit einem gerappten A-Teil, der von Shimmy, Shimmy, Ko-Ko Bop interpoliert ist und zwei Mal wiederholt wird. Hier fehlt eine erkennbare Songstruktur und deshalb nennen wir den zweiten Teil von «A&W» einen «Track» statt einen «Song». Das macht «A&W» zu einer Suite aus Song und Track. Der Triphop und Electro evozierende Track nimmt wie ein Remix Elemente aus dem Song als Sample auf und verfremdet sie.
Lana Del Reys Stimme
Im Song ist interessant zu hören, wie die Stimme von Del Rey sich verändert: Der nuschelnde Whisper Pop, der ihr Markenzeichen ist, dann die Sequenzen, in denen die Erzählerin ihren Körper beschreibt («Look at my hair ...» und «I'm a princess ...», in der die Melodie in die extremen Höhen der Kopfstimme flüchtet und auf fast grausame Art verletzlich klingt, weil sie hörbar versagt. Dann folgt der Pre-Chorus, wo Del Rey mit sich selbst im Chor singt und der Chorus, wo die Stimme wieder an ihren Ausgangspunkt zurück findet, die dunkeln und schwermütigen Harmonien sie aber «grounden».
«A&W» ist zweifellos ein Instant-Klassiker.

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Depeche Mode: Ghosts Again

Depeche Mode sind nun zum Synthpop-Duo geschrumpft, das aus dem musikalischen Meister Martin L. Gore und dem Frontmann Dave Gahan besteht. Nach mehr als fünf Jahren seit der letzten Single kommt die Band zurück, die in den 1980er Jahren Synthpop zum Mainstream-Crossover gemacht in die Hitparaden gebracht hat.
«Ghosts Again» ist ein strukturell ungewohnter Song (siehe «Slides»): Lyrisch zwei Verse-Pre-Chorus–Chorus-Sequenzen, die musikalisch auf einem Motiv und einer Variante dieses Motivs beruht. Also eine Art Simple Verse-Chorus Form mit Pre-Chorus. Der Chorus tritt in zwei Varianten auf, die wiederholt werden. Ohne die Wiederholungen könnte man die Verse-PC-Chorus-Sequenzen als Verses wahrnehmen und bezeichnen und «We'll be Ghosts Again» wäre eine Reprise.
Als Song fehlt «Ghosts Again» der Kontrast. Als Tanznummer funktioniert der Track, wenn man ihn etwas beschleunigt (z.B. der Poly Gore Mix). Die Abmischung ist farblos, was beim Video von Anton Corbijns starken Schwerz-Weiss-Bildern ein unnötiger Kahlschlag ist. Die melodischen Pianofiguren sind im Mix zurückgehalten. Sie hätte man als geisterhaftes Piano klanglich gestalten sollen, dann wäre der Track zu retten gewesen. So ist er ein Alterswerk, das man nach ein paar Mal hören vermutlich abhakt.

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Cocaine And Rhinestones: The History of Country Music: 1.01 Ernest Tubb: The Texas Defense

«Cocaine & Rhinestones» ist ein Podcast zur Geschichte der Country Music von Tyler Mahan Coe, dem Sohn von Country-Singer-Songwriter David Allan Coe. Bisher sind zwei Staffeln erschienen mit 15 respektive 18 Episoden. In der ersten Jahreshälfte von 2018 schaffte es dieser Podcast an die Spitze der Musikpodcasts bei iTunes.
«Cocaine & Rhinestones» wurde von Tyler Mahan Coe in Eigenregie recherchiert und produziert. Ab der zweiten Episode hatte er Zugang zu den Archiven der Country Music Hall of Fame and Museum. Der Podcast wurde aussergewöhnlich gut recherchiert und ist daher wie ein gutes Buch zur Musikgeschichte. Die Episoden sind unterschiedlich lang, und dauern nicht selten mehr als anderthalb Stunden. Coe interessiert sich für die verschiedenen Varianten einer Geschichte und lässt sie aufeinanderprallen. Er scheut auch nicht vor kontroversen Themen wie Rassismus und Sexismus zurück.
Die Webseite präsentiert zu jeder Episode die verwendeten Quellen, ein Transskript und «liner notes», letzteres ein Segment mit verwendeter Musik, Kommentaren, Korrekturen usw.
Links
– Patreon: Tyler Mahan Coe

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