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James W. Carey: Communication as Culture: Essays on Media and Society
«Communication as Culture: Essays on Media and Society» ist eine Sammlung von Essays, die das Verhältnis von Kommunikation, Medien und Kultur behandeln. James W. Carey (1934-2006) war ein amerikanischer Medien- und Kommunikationstheoretiker. Seine Schriften setzten sich von der gängigen Auffassung ab, dass Kommunikation eine Übertragung von Sinn/Bedeutung von einem «Sender» auf einen «Empfänger» sei. Stattdessen verstand er sie als kulturelle bzw. soziale Praxis. Carey sprach von einer «ritual view of communication» und sah in der Kommunikation eine Art Ritual, das gemeinsame Bedeutungen schafft und die soziale Ordnung aufrecht erhält. Sein Ansatz steht im Einklang mit konstruktivistischen Ideen oder dem Symbolischen interaktionismus, die beide betonen, dass Menschen durch Interaktion und Kommunikation (Erwin Goffman würde sagen mittels «Alltagsritualen») ihre Welt konstruieren.
Kommunikation findet im Alltag statt, aber auch wenn sich Menschen an Festen und Zeremonien zusammenfinden oder wenn sie Geschichten erzählen. Alle kommunikativen Akte oder Interaktionen festigen die Bindung der Menschen untereinander und konstituieren ein gemeinsames Weltbild bzw. gemeinsame Weltbilder. Kommunikation ist für Carey nicht bloss eine Reflexion der Kultur und des gemeinsamen Wissens, sondern formt Kultur, Wahrnehmung, Wissen und Selbstverständnis. Dabei spielen Medientechnologien eine gewichtige Rolle.
Carey verstand Kommunikationswissenschaft als Chance, unser Verständnis von verschiedenen Kulturen und anders denkenden Menschen zu erweitern, Kommunikation über Grenzen hinweg zu verbessern und die Gesellschaft inklusiver zu machen.
Kapitel: The Case of the Telegraph
Im letzten Kapitel seines Buchs untersucht Carey die Rolle der Telegraphie bei der Entstehung des industriellen Monopolkapitalismus (Stahlindustrie, Eisenbahnen, Grossbanken). Es beginnt mit der Erzählung davon, dass das vornehme Boston 1944 ans industrialisierte Amerika angeschlossen wurde. Drei Errungenschaften des 19. Jahrhunderts kamen in diesem Jahr in die Stadt: die Eisenbahn (Boston and Albany Railroad), die Dampfschiffahrt (Cunard Steamers) und die Telegrafie (die Linie zwischen Boston–Baltimore–Washington DC). Von den drei Transport- und Medientechnologien bleibe die Telegrafie das am wenigsten erforschte Feld. Das Standardwerk sei 40 Jahre alt (Robert L. Thompson: «Wiring a Continent: The History of the Telegraph Industry in the United States, 1832-1866», 1947) und behandle bloss die Gründung von Western Union, dem ersten grossen Kommunikations-Monopol der USA. Dieses Monopol wurde durch einen der grössten Rechtsstreite in den USA im 19. Jahrhundert geschaffen, den «great telegraph war» zwischen Jay Gould und William H. Vanderbilt. Gould, der Eigentümer der «Atlantic and Pacific Telegraph Company» die später mit der Western Union fusionierte, war im Besitz der Patente für die Quadruplex-Telegrafie, die er 1874 für $30.000.– (das entspricht $808'000 im Jahr 2023) von Thomas A. Edison gekauft hatte. Das Patent sicherte ein Multiplex-Verfahren in der Telegrafie. Damit konnten gleichzeitig durch ein Kabel zwei Nachrichten in jeder Richtung versandt werden. Gould nutzte den Quadruplex, um einen Preiskrieg gegen Western Union zu führen. Er verkaufte seine Aktien. Cornelius Vanderbilt war der größte Anteilseigner von Western Union und war von Jay Goulds Preiskampf am stärksten betroffen. Vanderbilt starb während der Saga, wodurch sein Sohn William die Leitung übernahm. William Vanderbilt war, ähnlich wie sein Vater, Jay Gould nicht gewachsen und gab schnell nach. Um den Preiskrieg zu stoppen, kaufte «Western Union» für 5 Millionen Dollar (das entspricht 135 Millionen Dollar im Jahr 2023) die «Atlantic Pacific» auf und erhielt damit die Rechte am Quadruplex von Jay Gould.
Carey stellt fest, dass das Forschungsvakuum im Feld der Telegrafie unglücklich sei, zum einen wegen der Tatsache, dass Western Union das erste grosse Monopol der USA, die erste elektrotechnische Wirtschaftsbranche überhaupt war. In dieser Branche war «Corporate Capitalism» auch in der Zukunft üblich (David Noble: American by Design, 1977). Zum anderen strukturiere die Telegrafie die Wahrnehmung, die Sprache und das Wissen neu. Folglich sei die Telegrafie eine Weggabelung (Carey spricht von «watershed») für die Entwicklung der Kommunikation in der US-Gesellschaft.
Einerseits wurde Telegrafie dazu verwendet, Nachrichten von A nach B zu übertragen. Durch die Nachrichtenübertragung wurden Kommunikation und Transport differenziert. Bisher musste eine Nachricht zu Fuss, zu Pferd oder per Eisenbahn vom Ausgangsort an den Zielort transportiert werden. Die technische Einrichtung der Telegrafie machte es hingegen möglich, Symbole, Zeichen, Botschaften, Nachrichten schneller als bisher und unabhängig von einem Weg zu übertragen. «The telegraph freed communication from the constraints of geography» (p. 204). Die Telegrafie diente aber auch der Fernsteuerung und der Kontrolle von Prozessen aus der Distanz. So wurden zum Beispiel Signale und Weichen der Eisenbahn von Kontrollwerken aus gestellt. In diesem Sinn war die Telegrafie ein Vehikel für die Veränderung von Ideen. Mit ihr tauchten neue Ideologien auf. Die gesellschaftliche Ideologie bestand darin, die Medientechnologien zu naturalisieren, sie in die bestehende Ordnung der Dinge einzufügen. Die Ideologie des folkloristischen Alltagsverständnisses hingegen dachte sich die neuen Technologien in theologischen Kategorien und Modellen: Leo Marx prägte dafür den Begriff «the rhetoric of the technological sublime» woraus Carey «the rhetoric of the electrical sublime» macht. Dem Telegraphen nämlich wurde die Kraft zugeschrieben, die Wildnis im Hinterland zu zähmen. Man sprach vom «noiseless tenant of the wilderness». Der philosophische Idealismus der Zeit förderte diese Art der Verklärung. Die Telegrafie war kein weltliches Faktum, sondern ein Mittel der Bekehrung – kein Wunder, denn Kommunikation hat man traditionellerweise von der Religion her verstanden [nämlich als Zugehörigkeit zur Gemeinde und als Teilhabe an der Güte Gottes oder des Erlösers. Das verwendete Wort war allerdings «communion».] Auch weniger theologisch funktionierte der Idealismus der Zeit: Die Ideologie des Mittelstands lautete: Kommunikation schafft Menschlichkeit, Aufklärung, Fortschritt. Wer nicht «online war», stand in Gefahr Barbar zu bleiben oder zu werden. (Benjamin Franklin, die Verkörperung der Max Weberschen protestantischen Ethik, war ein Mann, der sich der Erforschung der Elektrizität widmete. Er sah in ihr eine entscheidende moralische und soziale Kraft.) Die Idee des «common sense», mit der Thomas Paines die amerikanische Unabhängigkeit anheizte, erhielt eine neue Dimension.
Die Telegrafie beeinflusste die Sprache in der Öffentlichkeit über die Zeitungen und Zeitschriften, deren Zweck mehr und mehr darin bestand, Neuigkeiten an den Endpunkten des Telegrafienetzes zu verbreiten, als politische und moralische Kommentare zu schreiben. Dadurch wurde der literarische Stil von einem sachlich-naturalistischen Stil abgelöst. Es ging zunehmend um die Story, statt um den Erzähler. Als literarischer Stil schlug sich das bei Ernest Hemingway nieder. «Der Telegraph machte die Prosa schlank und schmucklos und führte zu einem Journalismus ohne den Luxus von Details und Analysen», schreibt Carey (p. 211).
Bevor es die Telegrafie gab, waren Handelsbeziehungen persönlich. Verkäufer und Käufer redeten miteinander und handelten Preise, Mengen und Qualität ihres Handels unter sich aus. Mit der Telegrafie veränderte sich das dramatisch. Nun bildete sich ein Monopolkapitalismus heraus. Zunehmend unpersönliche Handelsbeziehungen und die Homogenisierung der Märkte (Baumwolle in Memphis kostete nun gleich viel wie Baumwolle in New Orleans) waren der Effekt der blitzschnellen Nachrichtenübertragung. Die Wirkung des Telegrafen ist einfach: Er bringt alle Anbieter und Käufer zum Zweck des Handels an den virtuell gleichen Ort. Die Geographie wird irrelevant. Abgesehen von marginalen Ausnahmen hier und da beseitigt die Telegrafie Möglichkeiten zur Arbitrage. Arbitrage im Handel bedeutet, einen Vermögenswert gleichzeitig an zwei verschiedenen Märkten zu kaufen und zu verkaufen, um von einem Preisunterschied zu profitieren. Die Telegrafie verwirklicht die klassischen Annahme des perfekten und transparenten Marktes. Kanäle, Strassen und Eisenbahnlinien haben Märkte bereits vorher regionalisiert, die Telegrafie hingegen hat sie nationalisiert und sogar internationalisiert. Zudem förderte er die Spekulation oder mit anderen Worten er verschob Arbitrage zu Futures. Handel fand nun zunehmend nicht zwischen verschiendene Orten mit verschiedenen Preisen statt, sondern zwischen verschiedenen Zeiten. Ich kaufe jetzt etwas, was in der Zukunft an Wert gewonnen haben wird. Zeit war nun Geld. Und dieser Effekt wurde genutzt, um New York zum Zentrum des Aktienmarktes zu machen. Eine 30 Sekunden Verzögerung im Informationssystem soll New York zum primären Handelsplatz für Wertpapiere gemacht haben.
Es gab drei weitere Effekte der Verschiebung der Güter aus dem Raum in die Zeit: Märkte wurden dekontextualisiert. Gehandelt werden nicht Güter gegen Geld, sondern Zeit gegen Geld. Die Handelsgüter wurden auf Distanz nicht mehr beschaut, sondern es wurden Qualitätsstandards eingeführt. Man kaufte nicht Weizen, sondern Weizen einer gewissen Qualität. Es war wie bei Amazon oder ZVAB: Ein Buch ist neu, wie neu, gebraucht usw., je nach seinem Zustand.
Die ökonomische Kritik von Karl Marx am Kapitalismus habe viel mit diesen Verschiebungen und der Dekontextualisierung von Ware, Wert und Zeichen zu tun (siehe p. 221 f.). In der Kunst hat Walter Benjamin den Verlust der Aura des Werks beklagt. Auch der Komponist Igor Stravinsky hat diese Veränderungen mit dem Ausdruck auf den Punkt gebracht «the statisticalization of the mind».
Die Welt vor der Telegrafie bestand aus Regionen mit Zentren (Städten), in denen es Marktplätze gab. Zeit richtete sich an diesem Zentrum aus. Mit der Telegrafie wurden Standardzeiten eingeführt (am 18. November 1883), Zeitzonen, was besonders der Eisenbahn und ihren Fahrplänen zugute kam. Viele Menschen hielten die Standardzeit für eine Zerstörung der natürlichen Ordnung.
Quellen
– zum Kapitel Technology and Ideology: The Case of the Telegraph
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Crosby, Stills And Nash: CSN
Zweites Album von Crosby, Stills And Nash, ohne Neil Young. Es erschien acht Jahre nach dem Debutalbum.
Aufnahme
Die Aufnahmen fanden in den Criteria Studios in Miami, Florida, statt. Die Sessions waren von Spannungen und Konflikten zwischen den Bandmitgliedern geprägt, die sich in ihren persönlichen Beziehungen und musikalischen Differenzen widerspiegelten.
Song Highlights
«Shadow Captain» besteht aus den Markenzeichen des Trios, den komplexen Harmonien und den atmosphärischen Arrangements. Es ist ein gelungener Opener, der den alten Fans versicherte, da weiter gemacht zu haben, wo CSN vor Jahren aufgehört haben. «Fair Game» basiert auf einem Latinbeat. «Cathedral» ist ein von Nash geschriebener introspektiver Song über eine LSD-Erfahrung oder religiöse Vision, die er in der Kathedrale von Winchester hatte. Das bluesrockige «Dark Star» weist ein ausgedehntes Gitarrensolo auf. «Just a Song Before I Go» ist die radiofreundliche Single, die von einer Wette inspiriert war, ob Nash in kurzer Zeit einen Song schreiben könne. «Run from Tears» enthält ein grossartiges jagendes bzw. gejagtes Gitarrensolo. «Cold Rain» ist ein Trennungssong von Nash. «Cathedral» und «Give You Give Blind» verwenden – untypisch für das Trio, aber gelungen – Streicher.
Erfolg
Das Album erreichte Platz 2 der Billboard 200 Charts und wurde mit Platin ausgezeichnet.
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TikTok
TikTok ist ein Videoportal, das von der chinesischen Firma ByteDance angeboten wird. Nach dem Lounch im September 2016 wurde TikTok schnell zur beliebtesten Socal Media Plattform und hat dabei Kurzvideos etabliert und populär gemacht. Die App konzentriert sich auf kurze, prägnante und oft mit Musik unterlegte Videos, die in der Regel zwischen 15 Sekunden und 3 Minuten lang sind. Dieses Format hat sich insbesondere bei der jüngeren Generation als äusserst beliebt erwiesen, da es schnell konsumiert werden kann und die kurze Aufmerksamkeitsspanne der Nutzer*innen ausnutzt. TikTok fördert die «Kreativität» der Nutzer*innen durch eine Vielzahl von Tools und Funktionen, wie z. B. Filter, Effekte und Sounds. Die Plattform ist bekannt für ihre viralen Trends und Challenges, die Nutzer*innen dazu anregen, eigene Inhalte zu erstellen und sich mit anderen zu vernetzen.
Einfluss auf andere Plattformen
Der Erfolg von TikTok hat andere Social-Media-Plattformen dazu veranlasst, ähnliche Funktionen zu integrieren. YouTube hat beispielsweise «Shorts» eingeführt, Instagram «Reels» und Snapchat «Spotlight». Diese Funktionen ermöglichen es Nutzern, kurze Videos zu erstellen und zu teilen, um mit dem Trend Schritt zu halten und die Aufmerksamkeit der jüngeren Zielgruppe zu gewinnen.
TikTok und Musik
TikTok hat die Musiklandschaft massgeblich beeinflusst, vor allem durch seine Fähigkeit, Songs viral gehen zu lassen und unbekannte Künstler*innen bekannt zu machen. Einer der ersten dieser Acts war Lil Nas X, der dank TikTok mit Old Town Road viral ging. Der Song wurde durch unzählige Memes und Challenges auf der Plattform bekannt und erreichte schließlich Platz 1 der Billboard-Charts. Weitere Beispiele sind Doja Cat, deren Song Say So durch eine Tanz-Challenge in die Charts katapultiert worden ist. Megan Thee Stallion profitierte von Tanz-Challenges zu Savage und WAP. Bella Poarch wurde durch ein simples Lip-Sync-Video zu Build A Bitch zum TikTok-Star. Olivia Rodrigos Drivers License wurde auf TikTok intensiv genutzt und trug massgeblich zu ihrem Erfolg bei. Der australische Rapper Masked Wolf erlangte mit seinem Song Astronaut in the Ocean weltweite Bekanntheit über TikTok. Der schottische Postbote Nathan Evans wurde durch seine Sea Shanties auf TikTok zum Star und erhielt sogar einen Plattenvertrag. Auch die schweizerische Priya Ragu verdankt ihren Erfolg weitgehend TikTok.
Neben Musiker*innen wurden auch Künstler*innen aus anderen Feldern über TikTok bekannt, z.B. @khaby.lame, der Komiker, der bekannt für seine wortlosen Reaktionsvideos wurde, @charlidamelio oder @addisonre Tänzer*innen sowie @fundara als hyperrealistischer Maler.
Herausforderungen für die Musikindustrie
TikTok hat (wie andere Social Media Plattformen vor ihm die Machtverhältnisse in der Musikindustrie weiter verschoben. Künstler*innen sind nicht mehr ausschliesslich auf Plattenlabels angewiesen, um ihre Musik zu promoten. Auf der anderen Seite profitieren die Verlage und Labels von Plattformen wie TikTok, weil sie keine kostspieligen Kampagnen für den Aufbau von Künstler*innen mehr machen müssen.
Die zunehmende Bedeutung von TikTok hat zu Verhandlungen über Lizenzgebühren zwischen der Plattform und den Musiklabels geführt. Universal Music zog im Jahr 2021 sogar seine Musik von TikTok zurück, da sie mit den angebotenen Konditionen nicht einverstanden waren.
Die Aufmerksamkeitsspanne auf TikTok ist kurz. Songs und Acts können schnell viral gehen, aber auch genauso schnell wieder in Vergessenheit geraten.
Verbot von TikTok in den USA
TikTok wurde vorgeworfen, von der chinesischen Regierung kontrolliert und dessen Algorithmen von chinesischen Interessen verzerrt zu sein. Vorgeworfen wurde den Betreibern der Plattform insbesondere Verletzung des Datenschutzes, die Verbreitung von Fehlinformationen und anstössiger Inhalte sowie die Rolle, die die Plattform im Israel-Hamas-Krieg spielte. Von TikTok gehe die Gefahr psychischer Gesundheitsprobleme (Suchtpotential) aus. In verschiedenen Ländern sind Bestrebungen im Gange, TikTok einzuschränken oder zu verbieten, zum Beispiel in den USA.
Es sieht so aus (Stand anfangs Januar 2025) dass der Supreme Court per 19. Januar 2025 TikTok verbieten wird. Dieser Entscheid widerspricht zwar der von der amerikanischen Verfassung garantierten Redefreiheit, diese kann aber im Interesse der nationalen Sicherheit eingeschränkt werden. Das ist es nun, was TikTok droht. Zum Beispiel dürfen ausländische Regierungen oder Stellvertreter in den USA keine Radiosender betreiben oder Rundfunksendungen kontrollieren, obwohl dieses Recht von der Redefreiheit garantiert wird.
Erstens muss man nun den Gerichtsentscheid abwarten und zweitens wird man eines Tages im historischen Rückblich beurteilen müsen, ob dieses ganze juristische Techtelmechtel nicht eine starke Komponente Protektionismus enthalten hat. TikTok hat amerikanischen Plattformen den Rang abgelaufen. Reagiert man nun, statt mit besseren Apps aufzuwarten, mit einem Verbot? Am Ende wird die Entwicklung dazu führen, dass wir im Westen ein anderes Internet haben als die Länder, die unseren Werten feindlich gesindt sind. Die Berliner Mauer wird im Internet wieder aufgebaut. Baujahr 2025.
Quellen
– Marie-Astrid Langer: Letzte Chance für Tiktok: Diese drei Ausgänge sind am Supreme Court möglich (NZZ, 10.1.2025)
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James Hargreaves Guitar: How THE BEATLES Fused 2 Musical Genres To Make A New One
Die Beatles hätten in ihrer frühen Musik zwei Genres/Musiktraditionen fusioniert/hybridisiert. Die eine Tradition war der Blues bzw. der Rock'n'Roll mit C7–F7–G7, die andere war die europäische Pop-Klassiche Musik mit den diatonischen Akkorden: C–d-e-F-G-a-h°-C. Jeder Song kann im Spektrum dieser zwei Pole eingeordnet werden. Das Feature geht durch die ersten fünf Beatles Alben (plus Singles) und ordnet die Songs dem Spektrum zu. Zuweilen stellt man in Beatles Songs fest, dass sie die beiden genannten Musiktraditionen fusionieren. Ein Verse verwendet die Blueakkorde und der Chorus die diatonen Akkorde der westlichen Pop- und klassischen Musik. Beipsiele dieser Fusionen sind: I Saw Her Standing There (der erste und einzige Song auf dem Debutalbum; die Verses und die Bridge verwenden die Blues-Harmonik und der Refrain die Pop-Harmonik, wobei Tonika und Dominante in der Version eines Septakkords kommen und also der Blues-Harmonik entlehnt sind), Hold Me Tight (der einzige vom vom zweiten Album; Verses in Pop-Harmonik mit der Sekundärdominante und die Dominante als Septakkord und einem Bluesriff, der Refrain klar in Pop-Harmonik, die Middle-Eight in reiner Pop-Harmonik), Can't Buy me Love (Verses in der Blues- und Chorus in der Pop-Harmonik), A Hard Day's Night, I'll Cry Instead, When I Get Home, You Can't Do That, I Feel Fine (mit Blues- in den A-und Pop-Harmonik in den B-Verses), Another Girl oder Ticket To Ride (mit A-Verses in Pop- und einer Bridge in Blues-Harmonik).
Das Album A Hard Day's Night enthält keine Songs mit traditioneller Bluesharmonik mehr. Die für die frühen Beatles typischen Rock-'n'-Roll-Nummern waren eben auf die EP Long Tall Sally ausgelagert.
Hargreaves' Beobachtungen sind einleuchtend. Was allerdings fehlt, ist die Aussensicht: Waren die Beatles die einzigen, die diese Fusion vornahmen oder war das ein Kennzeichen des Brillbuilding-Songwritings und des Merseybeats überhaupt? Wenn man ganz kritisch sein möchte, wird man feststellen, dass die Idee einer Skala zwischen zwei Typen von harmonischer Sprache ein Unsinn ist (es gibt das eine, das andere und die Hybridisierung, wobei man bei der letzten Kategorie schauen muss, wie genau die beiden Harmoniken ineinander greifen – ist es ein einzelner Septakkord, der eine diatonische Akkordfolge abschliesst, ist es die Verteilung der beiden Harmoniken auf Strukturteile usw.. Aber für didaktische Zwecke ist eine Skala eben grossartig.
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: Beatles ’64
Auf Disney+ veröffentlichte Musikdokumentation von David Tedeschi über den ersten Besuch der Beatles in den USA, bei dem die britische Gruppe New York im Sturm für sich eingenommen hatte. Das Ereignis der Ankunft der Beatles löste die British Invasion aus, ein nie zuvor erwachtes Interesse der US-Öffentlichkeit an britischer Popmusik.
David Tedeschi hat zuvor mit Martin Scorsese zusammengearbeitet, der bei diesem Film als Produzent fungiert.
«Beatles ’64» schneidet das Filmmaterial der Maysles Brüder für die TV-Dokumentation What's Happening! The Beatles in the U.S.A. neu zusammen. Das Material ist in seiner ursprünglichen Form interessant, weil die Brüder Mitbegründer des Cinéma vérité Stils für Musikdokumentationen waren und eine grossen Einfluss auf die Machart des ersten Beatles Kinofilms A Hard Day’s Night hatten. Das Filmmaterial hat aber auch Schwächen, weil die Maysle-Brothers als britische Filmemacher in den USA zuweilen auf verlorenem Posten standen. Sie hatten zum Beispiel keine Erlaubnis, in den CBS Studios zu drehen. Protektionismus der US-Gewerkschaft! Statt die Ed Sullivan hinter der Bühne aufzunehmen, drehten die Regisseure eine beliebige Familie Gonzales mit Mädchen, die die Show am TV anschauen. Nicht wirklich beeindruckend.
Hinzu kommen verschiedene Interviews, die für diese neue Doku gemacht wurden. Leider sind sie teilweise unerträglich oberflächlich, weil die Leute, die man dafür gewählt hat, nichts Wesentliches zu sagen haben (David Lynch beispielsweise). Dabei beginnt der Film mit dem Versprechen: «The film features personal stories from people who were there.» Völlig pathetisch ist Joe Queenan, ein Mensch der für Satire bekannt ist, der erzählt wie seine Schwester im Dezember 1963 das Radio anschaltet und She Loves You gespielt wird. Zu Tränen gerührt sagt er: «Es war als ginge das Licht an – in totaler Finsternis ging das Licht an!» Das ist Sissy-Zeug und nicht Beatles-Style.
Vielleicht liegt die geringe Aussagekraft daran, dass die Zeitzeugen am aussterben sind. Mein Verdacht ist aber eher dass die Produktionskette (Disney, Scorsese, Tedeschi) den FIlm in sehr kurzer Zeit herausgehauen hat und offenbar mit geringen Standards zufrieden war. Es ist traurig, was man hier gezeigt bekommt. Was das Ganze noch schlimmer macht: Grosse Teile des verwendeten Filmmaterials und Songs wie In My Life stammen aus anderen Jahren als 1964, stimmen also historisch nicht. Fazit: Der Film ist kein «Land Ho!» wie es Lennon am Ende schreit, er ist schlicht ein überflüssiges Machwerk.
Querverweise
– Gary Berman: The Man Who Filmed The Beatles
– Albert und David Maysles: What's Happening! The Beatles in the U.S.A.
Links
– Pop Goes The Sixties: Beatles '64: A Review (28. Dezember 2024)
– Albert & David Mysles: What's Happening! The Beatles in the U.S.A. (Internet Archive) – dieses Zeitzeugnis ist im Internet Archive verfügbar. Die Zeit ist besser investiert, wenn man sich diese Originalbilder reinzieht.
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Musikjahr 2024
Im Musikjahr 2024 bleibt Streaming die wichtigste Konsumform für Musik. Dienste wie Spotify, Apple Music oder Amazon Music sind die Marktführer und verzeichnen weiterhin Zuwachs bei den Abonnentenzahlen. Diskussionen über die faire Vergütung von Künstlern im Streaming-Zeitalter halten an, ohne dass bisher etwas an den Lizenzierungs- oder Abrechnungsstandards geändert worden wäre.
Der Live-Musik-Sektor erholt sich nach der Pandemie weiter. Konzerte und Festivals sind wieder stark nachgefragt. Steigende Monopolisierung sorgen für steigende Ticketpreise und für ein homogeneres Angebot. Die Inflation stellt eine Herausforderung für die Branche dar.
Die Renaissance der Schallplatte hält an. Vinyl-Verkäufe steigen weiter und tragen zum Umsatzwachstum der Musikindustrie bei.
Künstliche Intelligenz (KI)
Artificial Intelligence setzt sich in verscheidenen Feldern der Musikproduktion und -vermarktung mehr und mehr durch. KI-Tools werden eingesetzt, um Musik zu komponieren, zu produzieren und zu mastern. Es gibt ethische und wirtschaftliche Debatten über den Einsatz von KI in der Musik und die Auswirkungen auf die Kreativität und den Wert menschlicher Künstler. Die Labels und Verlage fordern von den AI-Anbietern Geld, weil sie ihre AI-Plattformen mit Musik aus ihren Katalogen trainiert haben.
Musik Promotion
Social Media spielt ungebrochen die wichtigste Rolle in der Musikpromotion und im Künstler-Fan-Kontakt.
Trends
Immersive Technologien wie Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) werden zunehmend in der Musik eingesetzt, um neue Erlebnisse für Fans zu schaffen. Gerade im Zusammenspiel mit AI werden voraussichtlich die neuen Unterhaltungsangebote der Zukunft entstehen.
Listen
– Stereogum: Gummy Awards: Readers' Top 10 Albums of 2024 (Poll)
– Musikzimmer: Songs & Tracks von 2024
Quellen, Links
– Wikipedia: List of Billboard Hot 100 number ones of 2024
– Wikipedia: List of UK top-ten singles in 2024
Querverweise
– zur Monatsdiskografie Januar 2024
– Musikjahr 2023
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Musikzimmer: Songs & Tracks von 2024
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John Lennon: Imagine
Ein in mancher Hinsicht (Tonalität: C-Dur, Akkordfolge, Melodie) simpler Song mit einer einfachen und liebenswerten, um nicht zu sagen populistischen, utopischen Botschaft. Strukturell kommt der Song in einer AABA-Form mit der Bridge (B-Teil) als Reprise. Das Intro leitet in den A-Verse ein und die Coda fehlt, es sei denn, man betrachtet die Reprise als Coda. Arrangiert für Pianobegleitung, Rhythmussektion und Streicher, wobei das Piano mit Doubletracking aufgenommen und die beiden Aufnahmen kanalsepariert abgemischt wurden. John Lennon spielt das Piano, Klaus Voormann spielt Bass, Alan White sitzt am Schlagzeug. Die Streicher kommen von den Flux Fiddlers, die das Arrangement von Torrie Zito spielen. Die «Flux Fiddlers» waren Musiker des New York Philharmonic Orchestras, die von Lennon und Ono mit dem avantgardistisch anmutenden Namen versehen wurden – «Flux» kurz für Fluxus.
Der simple Song zeigt, worum es John Lennon nach dem Breakup der Beatles gegangen ist: «Back to the Roots», was in diesem Fall solides Brill-Building-Songwrting heisst, an anderer Stelle Rock 'n' Roll. Auch Ringo Starr gehörte eher ins Lager der Nostalgiker. George Harrison setzte eher auf Kontinuität und machte dort weiter, wo er am Ende mit der Band stand. Auch Paul McCartney machte weiter, zeigte sich anfangs orientierungslos, ausser dass er konsequent seine umfassenden Skills als Songwriter, Musiker und Produzent auslebte und mit Autonomie bestach («Who needs a band when there's none?»). Wenn man es im Nachhinein bedenkt: Keine dieser Strategien haben entfernt an das angeschlossen, was die Beatles waren und bedeuteten.
Quellen
– Signals Music Studio: Analyzing The Chords of John Lennon's "Imagine" - Perfect Progressions #4 (5.Oktober 2020)
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Niblo's Garden
«Niblo's Garden» war ein Variéte Theater am Broadway Höhe Prince Street in SoHo. Es wurde bereits 1822/23 als «Columbia Garden» gegründet und 1828 zu «Sans Souci» umbenannt. Bewirtschaftet und bespielt wurde das Theater von Kaffeehaus Besitzer William Niblo, dessen Namen das Theater ab 1834 trug. Das Haus ist zwei Mal abgebrannt (z.B. 1846) und wurde jedesmal noch grösser wieder aufgebaut (zuletzt 1849).
Als «Columbia Garden» gegründet wurde, lag dieser Pleasure Garten noch am Stadtrand New Yorks. Ein «Pleasure garden» war ein Outdoor-Vergnügungskomplex für Leute, die sich den Eintritt leisten konnten. Man muss bedenken: Der Central Park wurde erst 1859 als Landschaftspark eingerichtet und 1873 fertiggestellt. Man spazierte auf Kieswegen durch eine Garten- oder Parkanlage. Es gab Skulpturen, die am Abend von Kerzen beleuchtet wurden, Singvögeln in vergoldeten Käfigen und Pavillons in denen man Kaffee trank und Streichquartette aufspielten. Am späteren Abend gab es zudem nächtliche Feuerwerke. Niblo's hatte einen Ausstelungsraum mit Panoramas, eines der besten Restaurants der Stadt sowie ein Theater mit 3000 Sitzen.
Niblo's Garden setzte Masstäbe mit der Produktion von «The Black Crook» (1866).
Seit 1895 steht anstelle des Theaters ein Bürogebäude.
Quellen
– Bowery Boys: Niblo’s Garden: New York’s entertainment complex and home to the first (bizarre) Broadway musical (8. Oktober 2010)
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Feerie
Die Feerie ist eine Form des Unterhaltungstheaters aber auch ein Genre, das um 1800 herum aufkam und ab den 1870er-Jahren äusserst beliebt wurde. Entstanden ist die Feerie auf Pariser Bühnen wie dem Théâtre de l’Ambigu-Comique, aber auch als Genre innerhalb der englischen Pantomime. Eine Feerie hat einen märchenhaften, historischen, exotischen oder fantastischen Inhalt, sie handelt von Feen und andern Fantasiewesen, was sie zum Anlass nimmt, aufwändige Bühnenbilder und Kostüme sowie ausgefeilte Bühnentechnik zu verwenden. Darin ist sie eine Vorläuferin der späteren Extravaganzas (Ausstattungsstücken).
Mischformen waren das féerie-ballet oder die opéra-féerie. Die Grenzen zu anderen Bühnengenres und populären Theaterformen waren fliessend. Am Broadway wurden Feeries zu den besagten Extravaganzen.
Beispiele
– ein Vorläufer: «Turandot» von Carlo Gozzi (1762) – ein Märchenstück
– «La Belle au bois dormant» (Dornröschen) ist das klassiche Beispiel einer Feerie. Das Stück kam in unzähligen Fassungen: z.B. von D’Arnould-Mussot (1777) bis hin zu Tschaikowskis Ballett (1890)
– Jacques Offenbach: «Die Reise zum Mond» (1876) – modernistische Feerie
Bedeutende Autoren
– Adolphe d’Ennery
– Auguste Anicet-Bourgeois
Ende
Feeries wurden seit 1920 zunehmend durch den Historien-, Monumental- oder Kostümfilm abgelöst.
– Musicals können noch Elemente der Feerie enthalten: «The King and I» von Richard Rodgers (1952).
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Extravaganza
Als «Extravaganza» werden Bühnenshows bezeichnet, die weder eine durchgehende Handlung wie Operette oder Musical noch Nummern wie Variety bzw. Vaudeville-Shows haben. Die deutsche Bezeichnung für diese Form des Broadway-Theaters ist «Ausstattungsstück». Die Extravaganza ist aufwändig inszeniert, was Bühnenbild, Kostüme und Personal betrifft und enthält Elemente aus Revue, Ballett und Musical.
Ein Vorläufer und Vorbild waren britische Unterhaltungstheater von Autor James Planché, der populäre Spektakel veranstatlete, die sich nicht an dramaturgische Konventionen hielten und vor allen Dingen komischen bzw. satirischen Charakter hatte. Die Extravaganza enthielt aber auch Elemente aus Feeries, Zirkusvorstellungen und Revues. Wie bei den Fairies waren die Themen historisch, orientalisch, exotisch oder märchenhaft.
Beispiele
Eine der ersten US-amerikanischen Extravaganzas war 1866 die Aufführung von «The Black Crook» von Charles M. Barras. Die Entstehungs- und Erfolgsgeschichte des Stücks erzählt David Ewen in Panorama of American Popular Music, p. 79 ff.
Poster von «The Black Crook», das das Finale darstellt, in dem Amazonen die Kräfte des Bösen bezwingen.
Extravaganzas im amerikanischen Revuefilm
Als legendär gelten Busby Berkeleys Inszenierungen für Revuefilme von Warner Brothers: «42nd Street» (1933, siehe das Finale), «Footlight Parade» (1933, siehe daraus Human Waterfall), «Gold Diggers of 1933» (1933), «Dames» (1934) und «Fashions of 1934» (1934), «Wonder Bar» (1934) und «In Caliente» (1935).
Extravaganzas seit dem Zweiten Weltkrieg
– «We Will Never Die» (1943) machte in Amerika auf den Holocaust in Europa aufmerksam
– «The King and I» (1951) von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein II
– «Kismet» (1953) – eine Adaptation von Erzählungen aus «Tausendundeine Nacht» mit Musik von Alexander Borodin
– das Musical «42nd Street» (1980)
– das Musical «The Lion King» (1997)
Quellen
– Dennis Simanaitis: The First Broadway SmashHit!)
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Stereogum: Gummy Awards: Readers' Top 10 Albums of 2024
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