Musikzimmer von Christian Schorno: Inhaltsübersicht / Overview

Willkommen im Musikzimmer! Dies sind Hinweise auf Archivalien, aktuelle Themen, kuratierte Playlisten, neue Tracks, Alben, Bücher und Artikel.

St. Vincent: All Born Screaming

St. Vincents neues Album «All Born Screaming» ist eine Rückkehr zu ihren musikalischen Wurzeln und eine kraftvolle Erkundung des menschlichen Daseins.
Das Album beginnt mit dem stimmungsvoll geisterhaften Song «Hell Is Near» und geht dann mit dem geflüsterten «Reckless» weiter. «Broken Man», die rockige und theatralische Leadsingle, erinnert an Bands wie Nine Inch Nails. Andere bemerkenswerte Tracks sind die Bond-artige Hymne «Violent Times», das von den 1980er Jahren inspirierte «Big Time Nothing» und das funkige und kantige «Flea».
Kritiker heben Annie Clarks Fähigkeit hervor, unverwechselbare musikalische Landschaften zu erschaffen, in den sich Elemente von Industrial Rock, Trip Hop, Disco und Electronica vereinen. Das Album wird als eine kathartische Erfahrung beschrieben, die sowohl Momente der Verzweiflung als auch der Euphorie einfängt.
«All Born Screaming» ist ein ehrgeiziges und emotionales Album, das Clark als eine der einzigartigsten und talentiertesten Künstlerinnen ihrer Generation festigt. Es ist eine fesselnde Reise durch die Höhen und Tiefen des Lebens, die die Zuhörer*innen sowohl herausfordert als auch tröstet. (AI generiert aus fünf verlinkten Reviews: AllMusic, Pitchfork, Stereogum, Clash Music, PopMatters)

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The Wire: TheWire_189

Artikel über Usbekistan (p. 20), Invisible Jukebox mit Lee Konitz (p. 22-24), Artikel aus der Serie Undercurrents #11: «Generation Ecstasy» – über Wiliam Parker, Charles Gayle und David S. Ware von Tom Roe (p. 34), The Primer zu Lee 'Scratch' Perry (p. 42)

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Taylor Swift: THE TORTURED POETS DEPARTMENT (= Tortured Poets)

«Tortured Poets Department» kombiniert über weite Strecken die Intimität und die Altpop-Sensibilität von Folklore und Evermore mit dem Synthpop-Glanz von Midnights zu neuer ambitionierter Mainstream-Popmusik.
Der erste Höreindruck war: Das habe ich alles schon mal gehört. Vertraut. Musik nach alten Formeln. Dann fällt plötzlich auf, dass es keinen Superhit auf diesem Album gibt. Jeder Song klingt gut – wie ein Taylor-Swift-Song eben –, aber am zweiten Tag musste ich nachschauen, welchen Track sie als «Single» ins Rennen geschickt hat. Es ist Fortnight und ich hätte es nicht erraten können.
Am Veröffentlichungstag kamen weitere 15 Tracks als Überraschungsrelease unter dem Titel «The Tortured Poets Department: The Anthology» heraus. Schläft Taylor Swift noch weniger als ich?
Muchness ohne einen, zwei, drei «Bangers». Kein Karriereschritt, kein Monument, eher der literarische Spiegel eines Lebens auf der Bergspitze einer einzigartigen Karriere, die sie bisher in keinen der drohenden Seitengräben der Strasse des Erfolgs gesteuert hat. Sie und Lana Del Rey sind die grossen Literatinnen der heutigen stillstehenden Popmusik, die Kulmination einer Kultur, die ich bis zu Carole King, Bob Dylan und den Lennon-McCartney zurück führe, wahrscheinlich sogar zu Cole Porter.
Die Tracks von «Tortured Poets» sind makellos arrangiert und produziert. Taylor Swift und ihre beiden eingespielten Produktionspartnerschaften mit Aaron Dessner und Jack Antonoff funktionieren traumwandlerisch. Das Vokabular ihrer Arbeitsweise hat sich hörbar noch nicht erschöpft. Aber man wundert sich, ob sie irgendwann aus diesen bewährten Strukturen aussteigen wird, um ihrer Karriere einen neuen, lateralen Impuls zu verleihen. Vielleicht macht sie auch so weiter und irgendwann stelle ich mir vor, werde ich beim Hölren ihrer Songs etwas müde und zerstreut. Gerade noch nicht. Gerade noch nicht.

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Jens Balzer: Pop und Populismus. Über Verantwortung in der Musik

Es war einmal in Deutschland. Dort gab es einen Echo-Preis für erfolgreiche Popmusik. 2018 waren zwei Gangstarapper für den Preis nominiert: Kollegah und Farid Bang. Sie veröffentlichten das bis dahin erfolgreichste Kollaborations-Album «Jung, brutal und gutaussehend 3». Die Texte auf diesem Album sind frauenfeindlich, homophob, faschistisch und antisemitisch. Ein Ethik-Beirat des Echo stellte fest, dass dieses Album zwar einen Grenzfall darstelle, aber keinen Anlass für einen Ausschluss der nominierten Künstler böte. Eigenartig war, dass der Beirat sein Urteil vor allem auf den Track «0815» abstützte, der gar nicht auf dem nominierten Release zu finden ist, sondern auf einer Deluxe-Ausgabe des Albums. In diesem «0815» furzen Päng und sein Kollega in einem schlechten Reim was von Auschwitz-Insassen. Trotz Ethik-Beirat traten die beiden Grenzfälle tatsächlich in der Awardshow auf! Während ihrer Performance fielen Flaggen von der Decke, die an Nazi-Veranstaltungen erinnert hätten. War das eine Provokation oder ein Spiel mit der faschistischen Architektur des Raumes? War es beides? Jedenfalls kam dann der Aufruhr: Campino von den Toten Hosen fand noch in der Show, dass eine Grenze überschritten sei. Die Rapper wurden vom Publikum ausgebuht, aber die Show nahm ihren Lauf und alle schauten zu, die einen amüsiert die anderen angwidert. Nach dem Abend wurden reihenweise Preise zurückgegeben. Der Echo wurde entwertet wie das Geld am schwarzen Donnerstag. Die Show von 2018 war nicht nur das Letzte sondern die letzte. Zwei unbeliebte, junge, brutale und gutaussehende Rapper haben den selbstgefälligen deutschen Popbetrieb mächtig gestört und sind – geben wir es ruhig zu – in die Geschichte eingegangen.
Jens Balzer setzt sich in diesem Buch unter anderem mit Rechtspopulismus im Pop auseinander, mit Hassreden im Rap, mit antisemitischen, homophoben, sexistischen oder deutschtümelnden Lyrics in der Gegenwartsmusik. Dabei deckt er eine rhetorische Figur auf, die verwendet wird: Zuerst wird provoziert, Hass verbreitet, diskriminiert und wenn die Künsterinnen und Künstler zur Rechenschaft gezogen werden, dann haben sie es nicht so gemeint (es ist ja Kunst und nicht das Leben, uneigentliche Rede in einem Feld, in dem die Sprechenden und sich Verhaltenden prinzipiell frei sind, zu sagen und zu tun, was sie gutdünkt). Zuletzt sehen und inszenieren sich die so Angegriffenen als das Opfer einer missgünstigen Gesellschaft. Es sei ein «rhetorischer Dreischritt» von (1) aggressiver Grenzüberschreitung, (2) Relativierung und (3) larmoyanter Selbstviktimisierung. Die Kunst werde offensichtlich dazu benutzt, ungestraft «hate speech» von sich zu geben. Balzer wundert sich, weshalb «diese Art der musikalischen Hassrede in den letzten Jahren so wenig kritisiert worden» sei. Es geht ihm darum, wieder zu einer Kritik zu gelangen, die Grenzen des Zulässigen benennen könne (S. 36).
Weitere Themen
Neben dem Gangsta-Rap (Kapitel 2) behandelt Balzer den Antisemitismus (Kapitel 3), den Seximus in der Musikindustrie und die MeToo Reaktion dagegen (Kapitel 4), queere Selbstermächtigung (Kapitel 5), den Heimatrock von rechts (Kapitel 6), Heimatmusik von links (Kapitel 7), die Neue Rechte und der Rechtspopulismus, die keine Musik haben, weil buchstäblich niemand gewillt ist, sich hinter diese Parteien zu stellen, nicht mal Heimatrocker*innen und Gangsta-Rapper*innen (Kapitel 8), Pop und Identitäten (Kapitel 9), in dem es darum geht, dass Pop eklektizistisch ist, ein Stilgemisch, und schliesslich eine Art Fazit mit der Überschrift «Freundschaft im Pop» (Kapitel 10). Dieses Kapitel hält noch einmal fest, «dass guter, schöner, emanzipierter Pop immer eine Ästhetik des Werdens und der Grenzüberschreitung verfolgt, eine Ästhetik der Verunsicherung und Überschreitung überkommener Verhältnisse; und eine Ästhetik des Empowerments all jener Menschen, die nicht so leben wollen oder können, wie es ihnen von den Verhältnissen vorgegeben wird. [...] schöne, gute und wahre Kunst ist gerade jene die sich mit ästhetischen Mitteln an der Erschaffung von solidarischen Verhältnissen versucht» (S. 186).
Bewegung ohne Musik
Die Neue Rechte sei eine soziale Bewegung ohne Musik. (Man sieht das offensichtlich in den USA, wo kaum eine Künstlerin oder ein Künstler an Donald Trumps Wahlkampfveranstaltungen oder an seiner Inaugurationsfeier auftreten möchte.) Auch die deutsche AfD findet kaum Musikerinnen und Musiker, die sich hinter die Partei stellen oder mit ihr assoziiert werden möchten. Das ist in vielen Fällen schlicht erstaunlich. Die Gangstarapper mit ihrem islamischen Hintergrund haben natürlich ein ambivalentes Verhältnis zur AfD, das versteht man, aber auch deutsche Formationen lassen sich politisch nicht ein.
Nützliche Idioten eines rassistischen Systems
Bei der Auseinandersetzung mit Gangstarap im zweiten Kapitel arbeitet Balzer heraus, wie der Gangsarap der Nullerjahre ein «Laboratorium der politischen Inkorrektheit» darstellte. In diesem klar umgrenzten Freiraum wurden «reaktionäre Fantasien, Haltungen und Vokabulare» ausprobiert, die im Verlauf der folgenden Jahre in den Mainstream einsickern konnten. Eine Bedingung der Möglichkeit für diese Diffusion in den Mainstream ist, dass die Protagonisten als gesellschaftliche Aussenseiter wahrgenommen werden. Wenn das Leute wären, die in Deutschland von heimischen Eltern abstammten, würde die Gesellschaft das nicht tolerieren. «Bushido und seine Kollegen fungieren auch als ungezähmte, gefährliche Wilde, für die die Gesetze der Zivilisation nicht gelten und die sich als Identifikation für all jene anbieten, die diesen Gesetzen für die Dauer des Musikhörens entfliehen möchten.» (S. 47) Damit nennt Balzer zwei verschiedenartige Publika für diese Musik: die einen haben ähnliche Biografien wie die Rapper selbst, die anderen, leiden an den Zwängen der Zivilisation und brechen für die Dauer des Musikhörens aus ihrer engen Welt aus.
Die linke Kritik versucht tolerant zu sein, macht aber auch einen auf Vogel-Strauss. Theoretisch wird die kognitive Dissonanz dann mit einer dialektischen (oder wie soll man das nennen?) Denkfigur bewältigt: Nicht die Gangstaraper tragen die Schuld am Hass, den sie verbreiten, sondern die Gesellschaft, die selbst rassistisch, sexistisch und homophob sei. Statt die Rapper zu kritisieren, werden sie als Spiegel oder als nützliche Idioten einer kranken Gesellschaft gesehen. Aber wie ist das mit rechten Kulturkritikern (falls es sie gibt): Nehmen sie die Sprechweise und die Werte tatsächlich auf? Dazu sagt Balzer leider nichts. Er hinterfragt auch nicht den Zusammenhang des Gangstaraps mit dem Rechtsrutsch in Europa und Amerika. Es steht offenbar nicht in Frage, dass es diesen Zusammenhang gibt.
Würdigung und Bedenken
Diese Auseinandersetzungen mit dem Populismus in der Gegenwartsmusik sowie mit Musikgenres, die bei Musikjournalist*innen wenig beliebt sind, ist löblich. Welcher Musikjournalist lässt sich schon gerne in die Niederungen von Deutschem Gangstarap, Heimatrock und Helene Fischer hinab. Die Anstrengung, sich auf fremdes Territorium zu begeben, war es wert.
Als Leser von «Pop und Populismus. Über Verantwortung in der Musik» denke ich über folgendes nach: Zuerst einmal glaube ich nicht so recht an den Verantwortungs-Appell, den Balzer in den Untertitel seines Buchs geschrieben hat. Radikale Kunst von links und rechts kann nicht mit Vernunft therapiert werden. Vermutlich sollten wir die Grenze zwischen Kunst und Politik hüten. So lange Avantgarden oder in neuerer Zeit Genres wie Gangstarap (früher war es Musik die man «Rock von rechts» titulierte oder rechtsextremer Metal) von ausserhalb des gesellschaftlichen Mainstreams agieren, sind sie relativ harmlos. Klar, sie provozieren und das sehr. Aber erst wenn die Ästhetik in die Politik und in den Alltag der Massen eindringt, wird es gefährlich (Nazi-Deutschland). Und wir sollten uns bewussts sein, dass Dünkel unsererseits, Verachtung und Ekel vor radikaler Kunst, diese nur noch umso mehr anstachelt. Acts wie Kollegah und Farid Bang haben nicht nur kraft ihrer Performance eine so grosse Anhängerschaft. Es sind Wertungen in der Gesellschaft, die Klassen und Gruppen bilden, die inkludieren und ausschliessen. Wen wundert's wenn die Ausgeschlossenen sticheln und provozieren? Es ist die Art, wie man als Outsider doch eine authentische Stimme erheben kann. Man inszeniert sich als Outsider und provoziert die Insider. Deren Verachtung bestätigt die Provozierenden in ihrem Outsidertum. Ein Teufelskreis.
In den 1980er Jahren bewirkten Politikergattinnen wie Tipper Gore, dass an Schallplatten mit radikale Musik Parental Advisory Kleber aufgebracht wurden. Die Aktion war so lächerlich, dass man in der alternativen Szene bald stolz darauf war, wenn der Kleber aufgebracht wurde.
Der Befund, dass Gangstarapper und Heimatrocker sich nicht an den Wagen neuer Rechtsparteien anspannen lassen, zeigt eigentlich deutlich, dass sie, auch wenn sie sich in ihren Texten rassistisch, sexistisch, antisemitisch äussern, dies bewusst im Feld der Kunst machen und darum herum eine klare Grenze ziehen – wenigstens bisher. Vielleicht lohnt sich eine opportunistische Haltung gegenüber der rechten Politik gegenwärtig noch nicht, aber wenn der Wind mal ändert, dann könnten sich auch die Grenzen auflösen. Das wissen wir (noch) nicht.
Es zeigt sich bei Aufzeichnungen der Echo-Awardshow deutlich, dass auch Kollegah und Farid Bang begriffen haben, dass im Feld von Pop und Kunst Dinge gesagt werden dürfen, die eben nicht so gemeint sind. Die Gesellschaft mutet sich selbst zu, dass ihre Künstlerinnen und Künstler mit Identitäten, Lebensformen, Diskursformen oder Inszenierungen experimentieren dürfen. Und das nehmen sie für sich und ihre Raps in Anspruch, auch wenn die Elite ihnen unterstellt, dass sie als Einwanderer und dümmliche Gangsterrapper diesen Unterschied gar nicht begreifen würden. Dieser Dünkel stachelt die Rapper umso mehr an, weiter zu provozieren, und ihr Publikum «Nutte bounce» mitzujohlen. Wer selbst einmal auf radikale Musik gestanden ist, weiss das.
Update nötig
Nach nur fünf Jahren ist im Feld der Politik so viel geschehen, dass ein Update des Buchs sehr spannend zu lesen wäre. Putin der Gangsta oder die polarisierten Wahlen in den USA gäben den Stoff her.
Weitere Quellen
– Deutschrap ideal: ECHO-SKANDAL 2018: War es nur eine Wette zwischen Kollegah & Farid Bang? | + Geleaktes Handyvideo (5. Februar 2023)

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Beyoncé: Cowboy Carter

Das ist keine Rezension, sondern eine Meinung:
Es wird diskutiert, ob weisse Kids, die mit Dreadlocks herumlaufen, kulturelle Aneignung betreiben und Beyoncé, eine der reichsten Frauen in der Musikwelt macht dieses Album? In dieser Zeit, in der die politischen Fronten in den USA sich erneut verhärten und wir auf die unangenehmsten Wahlen in der Geschichte zu steuern? Ist das nicht dumm, ungeschickt und ein unschönes Spiel mit der kulturellen Aneignung?
Es ist schon klar, dass Beyoncé in Texas aufgewachsen ist und in einer Welt lebt, in der Country und afroamerikanische Musik gleichermassen zuhause sind. Ich ärgere mich nicht darüber, dass Beyoncé ein Country-Album macht (wenn es denn eines ist, vielleicht nennt man es besser ein «Crossover» Album). Daddy Lessons war ein grossartiger Song, den ich bis heute gerne höre. Ich ärgere mich über den Zeitpunkt von «Cowboy Carter», der unnötig provozierend wirkt.
Warum muss eine Spitzenkünstlerin andere Spitzenkünstlerinnen und Künstler covern («Blackbird» und «Joleene»)? Fördert das nicht die populistische Erzählung von der Elite, die sich selber begünstigt? Die USA würden andere Zeichen als dieses brauchen!

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musical comedy

Eine «musical comedy» (musikalische Komödie) ist ein unterhaltendes/leichtes Theaterstück mit eingelegten Songs und Tanznummern. Die Bezeichnung wurde zwischen etwa 1920 und 1970 hauptsächlich als Untertitel von Broadway-Shows verwendet.
In den USA haben sich «musical comedies» aus den Revuen entwickelt, die in der Zeit zwischen 1900 und 1920 beliebt waren, z.B. diejenigen von George M. Cohan oder Florenz Ziegfeld (1910er Jahre). Revuen waren inhaltlich unzusammenhängend und hatten einen Schwerpunkt bei der tänzerischen Darbietung («chorus girls»).
Dagegen hatten «musical comedies» eine durchgehende Handlung, in die Tanz- und Gesangsnummern integriert wurden.
Frühe «musical comedies» waren «Fifty Million Frenchmen» (1929), «Anything Goes» (1934) von Cole Porter, «No, No, Nanette» (1925) Vincent Youmans, «Oh, Kay!» (1926) von George Gershwin.
Dann kamen die «book musicals»: eine Politsatire «Of Thee I Sing» (1931) von George Gershwin, die Antiken-Parodien von Richard Rodgers und Lorenz Hart («The Boys from Syracuse» (1938) sowie die sarkastische Literaturvertonung «Pal Joey» (1940). Sehr erfolgreich war die Produktion «On Your Toes» (1936) von Richard Rodgers mit der Choreografie von George Balanchine.
Ende
«Musical comedies» wurden mehr und mehr vom Tonfilm aufgegriffen und weitergetragen (siehe American musical-comedy film).

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Musikzimmer: British Invasion 1964-1967, US Top 20 Hits

Diese Liste verzeichnet alle US-Top-20-Hit Singles der British Invasion zwischen 1964 und 1967 in chronologischer Ordnung – also britische Bands, die mit ihren Singles in den USA erfolgreich waren. Sie beruht auf einem Spreadsheet von Musikzimmer, das alle britischen Top-20-Hits in den Billboard Hot 100 Charts aus den genannten Jahren verzeichnet.

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Ramones: Blitzkrieg Bop

Der Song ist über weiteste Strecken als Drei-Akkord-Song aufgebaut (I–IV–V). Einzig im Chorus kommt eine kurze Abwechslung in Moll (ii). «Blitzkrieg Bop» entspricht damit dem Punk-Ethos, dass zwei oder drei Akkorde genügen, um einen Popsong zu spielen. Beim Gebrauch der Akkorde fällt auf, dass Tonika, Subdominante und Dominante nicht wie in der Klassischen Musik oder im Jazz, dazu verwendet werden, Spannung aufzubauen und wieder aufzulösen. Es ist in den Verses eher als wäre die Tonika ein lärmiges Stahlgewitter («tight wind», «steam heat»), das mit einer Art Riff (IV–V) verziert ist. Die Spannung ist wie ein Ornament zum Tonika-Akkord. Harmonisch sorgt es für eine kurze Abwechslung der Monotonie. Das Ziel ist nicht, die Monotonie der Tonika wiederherzustellen, die Harmonische Figur aufzulösen, sondern gerade umgekehrt, kurz aus der Monotonie der Tonika auszubrechen. Voilà, das ist Punk. «All revved up and ready to go».
Warum eigentlich heisst der Song «Bop»? Weil es gut klingt (Assonanz mit «Blitz...»)? Weil der Song etwas mit Bebop gemein hat? Das wohl eher nicht, weil er gerade das Gegenteil des virtuosen Bebops darstellt. Ironie? Oder hat die Wortwahl mit der praktischen Kurzhaar-Frisur für Frauen aus den 1960er Jahren zu tun? Das andere Wort im Titel, der «Blitzkrieg», bezeichnet die militärische Strategie, einen Gegner mit einem schnell ausgeführten und verlustreichen Schlag zu demoralisieren. Hitlers Armee führte im Zweiten Weltkrieg einen Blitzkrieg gegen England. Dass das Lied ausgerechnet dort dermassen erfolgreich war, ist dann wirklich eine Ironie. Und ausserdem trifft «Blitzkrieg» die Wirkung, die die Ramones bei ihrem ersten Konzert in London gehabt haben, sehr genau. Nach dem Auftritt der Band am 4. Juli 1976 im Roundhouse wurden Dutzende von Punkbands gegründet. An Weihnachten war Punk dank den Sex Pistols, die einen TV-Skandal auslösten, das Stadtgespräch (siehe: The Grundy Show Incident).

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WILLOW: Symptoms of Life

Da Gegenwartsmusik oft so anspruchslos ist, obwohl viele der jungen Leute Musik studiert haben, fragt man sich zuweilen, wo die Musik bleibt, die harmonisch, melodisch und rhythmisch interessant ist. Nun, hier ist sie. WILLOW ist die Tochter von Will Smith, dem Rapper und Schauspieler. Sie ist bereits seit jahren als Musikerin unterwegs. Ihr neuer Song «Symptoms of Life» kommt in einem 7-4-Takt, mit jazzigen Cluster-Akkorden (Am7(♭13), Fmaj9(#11), Gsus4(add13), Dm11) und einem Tupfer im phrygischen Modus. Früher hat man so etwas «Prog» genannt. Nun ist dieser Song auf interessante Weise sehr unruhig, klingt aber wie eine Hybride aus R'n'B und Pop. «Fusion», um noch einen Begriff aus der Vergangenheit zu gebrauchen. Erstaunlich eingängig.
Quellen
– David Bennett: the craziest pop song of the 21st century

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Edward M. Favor: Daisy Bell (Bicycle Built For Two)

Ein Erfolgs-Song aus der britischen Music Hall in der Zeit der Belle Époque. Auf der Bühne erfolgreich interpretiert von der Sängerin Katie Lawrence. In den USA war es die Vaudeville-Sängerin Jennie Lindsay im «Atlantic Gardens» in der Bowery, die «Dasy Bell» bekannt machte. Edward M. Favor war der erste Sänger, von dem das «Daisy Bell» Lied auf einem Wachszylinder aufgenommen wurde.
Der Chorus des Songs war ein eingängiges «Singalong», bei das Besucherinnen und Besucher der Musichall lauthals mitgesungen haben. Die Verses sind voller humoristisch-doppeldeutiger Wortspiele: Daisy ist der Name einer unverbindlichen Geliebten und der Margeriten-Blume (sie liebt mich – sie liebt mich nicht). «Bell» steht für die Glocke am Tandem, auf dem die Hochzeitsfahrt geplant ist, ist aber auch der homophone Kosename der Frau.
Blur haben den Song stimmig als Singalong-Punknummer aufgenommen (zu finden auf der Deluxe Ausgabe von Modern Life Is Rubbish).

1961 hat Max Matthews, der Computermusik-Pionier der Bell-Laboratories, «Daisy Bell» auf einem IBM 7090 programmiert, dem damals fürenden System der künstlichen Sprachsynthese. bekannt geworden ist diese synthetische Version des Songs durch den Film 2001. A Space Odyssey, in dem der Bordcomputer HAL 9000 während seiner Abschaltung «Daisy Bell» singt.

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Alice Coltrane: The Carnegie Hall Concert

Alice Coltrane war mehr als die Lückenfüllerin für ihren Ehemann John Coltrane. Das zeigte sich anhand verschiedener (Wieder-)Veröffentlichungen in den letzten Jahren. Turiya Sings demonstriert exemplarisch die Originalität und Unabhängigkeit von ihrem Ehemann. Frauen in Pop und Jazz wurden (und werden traurigerweise noch immer) zuunrecht in den Schatten von Männern gestellt. Denke hier an Nancy Sinatra oder Yoko Ono.
Alice Coltranes «Carnegie Hall Concert» von 1971 weist zwei distinkte Teile auf: In der ersten Hälfte des Auftritts spielten sie und ihre Formation Musik aus dem gefeiertem Album Journey in Satchidananda. Die Live-Interpretationen konzentrieren sich auf die meditative Schönheit und präsentieren Coltranes grossartiges Harfenspiel neben den schwebenden Saxofonsolos von Archie Shepp und Pharoah Sanders sowie dem hypnotischen Schlagzeugspiel von Ed Blackwell und Clifford Jarvis. Die zweite Hälfte steht in einem auffälligen Kontrast dazu: Hier wechselte Coltrane ans Klavier und spielte lange, intensive Arrangements von Kompositionen John Coltranes. Ihre Interpretationen fielen roh und heftig aus, wobei Coltranes kraftvolles Klavier die Bühne dominierte und den Geist von John Coltranes Ära der «ekstatischen Feuermusik» (Hank Shteamer von Pitchfork) heraufbeschwörte (u.a. Meditations, Transition, Infinity). Alice Coltrane bewies sich damit als eigenständige wilde musikalische Kraft, die sich mit den intensivsten Free-Jazz-Pianisten vergleichen liess, auch wenn das Publikum teilweise durch sie hindurchhörte, um verzweifelt die Echos von John zu vernehmen.
Das «Carnegie Hall Concert» zeigt Alice Coltrane vor allem mit dem zweiten Teil als Fackelträgerin der Musik ihres Ehemanns. Deutlich wird aber auch, dass sie diese Fackel nicht nur trägt, sondern mit ihr noch weiter nach draussen stürmt. Dieses Album trägt zur weiteren Anerkennung der Musikerin und ihrer Tonkunst bei.
Die Aufzeichnung
Da die 4-Spur-Masterbänder des Konzerts verloren gingen, wurde diese Veröffentlichung aus den 2-Spur-Bändern, die als Referenzmix mitliefen, rekonstruiert.

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Erweiterte Akkorde

Erweiterte Akkorde sind Triaden mit weiteren Tönen im Terzabstand, die auf die Triade bzw. auf den Septakkord geschichtet werden: der neunte, elfte und dreizehnte Ton. Wenn die erweiterten Triaden chromatische Alternativen zu den erweiterten Tönen darstellen, werden sie «Altered Chords» genannt.
Chromatische Erweiterungen: «Altered Chords»
Es gibt folgende Töne, aus denen Altered Chords gebildet werden:
– ♭9 oder #9 (während 9 der erweiterte Akkord ist)
– #11 (oder ♭5) – ♭11 ist identisch mit der ersten Terz im Grundakkord
– ♭13 (oder #5) – #13 ist identisch mit dem ♭7 im Septakkord
Somit bleiben vier Töne: ♭9, #9, #11 und ♭13 (= #5). Mit ihnen kann man eine «altered scale» bilden: z.B. G–♭a–#a–b–#c–♭13–F. Diese «altered scale» wird auch «superlocrian» oder «diminished wholetone scale» genannt. Die Töne dieser Skala können verwendet werden, um im Jazz zu improvisieren: Erweiterte Akkorde können mit einem oder mehreren verschiedenen Tönen der «altered scale» geschmückt werden. Oder die ii-V-I-Progression wird an der zweiten Stelle (bei der V) mit beliebigen Tönen aus der «altered Scale» erweitert (z.B. iim7–Valt–i(7) oder auch iim7–V7–Valt–i(7)).
Kulturelle Bedeutung
Für die afroamerikanische Musik haben «altered chords» eine wichtige Bedeutung. Die Musik wird in einem tonalen und harmonischen Bereich angesiedelt, der von der europäischen Musik nicht besetzt ist, gewissermassen in einem musikalischen Niemandsland. Analog verfuhr die afroamerikanische Musik mit dem Rhythmus: Die Synkopen in Ragtime und Jazz sind rhythmische Akzente, die auf die nicht akzentuierten und unerwarteten Stellen des Rhythmus verlegt wurden. Mit beiden Verschiebungen wurde eine neue, ganz andere Musik geschaffen, die auf ihre Weise mit der romantischen Musiktradition brach.
Quelle
– Michael Keithson: Altered Chords | What, Why, How

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