Musikzimmer Blog Post: Jens Balzer: Pop und Populismus. Über Verantwortung in der Musik

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Jens Balzer: Pop und Populismus. Über Verantwortung in der Musik

Es war einmal in Deutschland. Dort gab es einen Echo-Preis für erfolgreiche Popmusik. 2018 waren zwei Gangstarapper für den Preis nominiert: Kollegah und Farid Bang. Sie veröffentlichten das bis dahin erfolgreichste Kollaborations-Album «Jung, brutal und gutaussehend 3». Die Texte auf diesem Album sind frauenfeindlich, homophob, faschistisch und antisemitisch. Ein Ethik-Beirat des Echo stellte fest, dass dieses Album zwar einen Grenzfall darstelle, aber keinen Anlass für einen Ausschluss der nominierten Künstler böte. Eigenartig war, dass der Beirat sein Urteil vor allem auf den Track «0815» abstützte, der gar nicht auf dem nominierten Release zu finden ist, sondern auf einer Deluxe-Ausgabe des Albums. In diesem «0815» furzen Päng und sein Kollega in einem schlechten Reim was von Auschwitz-Insassen. Trotz Ethik-Beirat traten die beiden Grenzfälle tatsächlich in der Awardshow auf! Während ihrer Performance fielen Flaggen von der Decke, die an Nazi-Veranstaltungen erinnert hätten. War das eine Provokation oder ein Spiel mit der faschistischen Architektur des Raumes? War es beides? Jedenfalls kam dann der Aufruhr: Campino von den Toten Hosen fand noch in der Show, dass eine Grenze überschritten sei. Die Rapper wurden vom Publikum ausgebuht, aber die Show nahm ihren Lauf und alle schauten zu, die einen amüsiert die anderen angwidert. Nach dem Abend wurden reihenweise Preise zurückgegeben. Der Echo wurde entwertet wie das Geld am schwarzen Donnerstag. Die Show von 2018 war nicht nur das Letzte sondern die letzte. Zwei unbeliebte, junge, brutale und gutaussehende Rapper haben den selbstgefälligen deutschen Popbetrieb mächtig gestört und sind – geben wir es ruhig zu – in die Geschichte eingegangen.
Jens Balzer setzt sich in diesem Buch unter anderem mit Rechtspopulismus im Pop auseinander, mit Hassreden im Rap, mit antisemitischen, homophoben, sexistischen oder deutschtümelnden Lyrics in der Gegenwartsmusik. Dabei deckt er eine rhetorische Figur auf, die verwendet wird: Zuerst wird provoziert, Hass verbreitet, diskriminiert und wenn die Künsterinnen und Künstler zur Rechenschaft gezogen werden, dann haben sie es nicht so gemeint (es ist ja Kunst und nicht das Leben, uneigentliche Rede in einem Feld, in dem die Sprechenden und sich Verhaltenden prinzipiell frei sind, zu sagen und zu tun, was sie gutdünkt). Zuletzt sehen und inszenieren sich die so Angegriffenen als das Opfer einer missgünstigen Gesellschaft. Es sei ein «rhetorischer Dreischritt» von (1) aggressiver Grenzüberschreitung, (2) Relativierung und (3) larmoyanter Selbstviktimisierung. Die Kunst werde offensichtlich dazu benutzt, ungestraft «hate speech» von sich zu geben. Balzer wundert sich, weshalb «diese Art der musikalischen Hassrede in den letzten Jahren so wenig kritisiert worden» sei. Es geht ihm darum, wieder zu einer Kritik zu gelangen, die Grenzen des Zulässigen benennen könne (S. 36).
Weitere Themen
Neben dem Gangsta-Rap (Kapitel 2) behandelt Balzer den Antisemitismus (Kapitel 3), den Seximus in der Musikindustrie und die MeToo Reaktion dagegen (Kapitel 4), queere Selbstermächtigung (Kapitel 5), den Heimatrock von rechts (Kapitel 6), Heimatmusik von links (Kapitel 7), die Neue Rechte und der Rechtspopulismus, die keine Musik haben, weil buchstäblich niemand gewillt ist, sich hinter diese Parteien zu stellen, nicht mal Heimatrocker*innen und Gangsta-Rapper*innen (Kapitel 8), Pop und Identitäten (Kapitel 9), in dem es darum geht, dass Pop eklektizistisch ist, ein Stilgemisch, und schliesslich eine Art Fazit mit der Überschrift «Freundschaft im Pop» (Kapitel 10). Dieses Kapitel hält noch einmal fest, «dass guter, schöner, emanzipierter Pop immer eine Ästhetik des Werdens und der Grenzüberschreitung verfolgt, eine Ästhetik der Verunsicherung und Überschreitung überkommener Verhältnisse; und eine Ästhetik des Empowerments all jener Menschen, die nicht so leben wollen oder können, wie es ihnen von den Verhältnissen vorgegeben wird. [...] schöne, gute und wahre Kunst ist gerade jene die sich mit ästhetischen Mitteln an der Erschaffung von solidarischen Verhältnissen versucht» (S. 186).
Bewegung ohne Musik
Die Neue Rechte sei eine soziale Bewegung ohne Musik. (Man sieht das offensichtlich in den USA, wo kaum eine Künstlerin oder ein Künstler an Donald Trumps Wahlkampfveranstaltungen oder an seiner Inaugurationsfeier auftreten möchte.) Auch die deutsche AfD findet kaum Musikerinnen und Musiker, die sich hinter die Partei stellen oder mit ihr assoziiert werden möchten. Das ist in vielen Fällen schlicht erstaunlich. Die Gangstarapper mit ihrem islamischen Hintergrund haben natürlich ein ambivalentes Verhältnis zur AfD, das versteht man, aber auch deutsche Formationen lassen sich politisch nicht ein.
Nützliche Idioten eines rassistischen Systems
Bei der Auseinandersetzung mit Gangstarap im zweiten Kapitel arbeitet Balzer heraus, wie der Gangsarap der Nullerjahre ein «Laboratorium der politischen Inkorrektheit» darstellte. In diesem klar umgrenzten Freiraum wurden «reaktionäre Fantasien, Haltungen und Vokabulare» ausprobiert, die im Verlauf der folgenden Jahre in den Mainstream einsickern konnten. Eine Bedingung der Möglichkeit für diese Diffusion in den Mainstream ist, dass die Protagonisten als gesellschaftliche Aussenseiter wahrgenommen werden. Wenn das Leute wären, die in Deutschland von heimischen Eltern abstammten, würde die Gesellschaft das nicht tolerieren. «Bushido und seine Kollegen fungieren auch als ungezähmte, gefährliche Wilde, für die die Gesetze der Zivilisation nicht gelten und die sich als Identifikation für all jene anbieten, die diesen Gesetzen für die Dauer des Musikhörens entfliehen möchten.» (S. 47) Damit nennt Balzer zwei verschiedenartige Publika für diese Musik: die einen haben ähnliche Biografien wie die Rapper selbst, die anderen, leiden an den Zwängen der Zivilisation und brechen für die Dauer des Musikhörens aus ihrer engen Welt aus.
Die linke Kritik versucht tolerant zu sein, macht aber auch einen auf Vogel-Strauss. Theoretisch wird die kognitive Dissonanz dann mit einer dialektischen (oder wie soll man das nennen?) Denkfigur bewältigt: Nicht die Gangstaraper tragen die Schuld am Hass, den sie verbreiten, sondern die Gesellschaft, die selbst rassistisch, sexistisch und homophob sei. Statt die Rapper zu kritisieren, werden sie als Spiegel oder als nützliche Idioten einer kranken Gesellschaft gesehen. Aber wie ist das mit rechten Kulturkritikern (falls es sie gibt): Nehmen sie die Sprechweise und die Werte tatsächlich auf? Dazu sagt Balzer leider nichts. Er hinterfragt auch nicht den Zusammenhang des Gangstaraps mit dem Rechtsrutsch in Europa und Amerika. Es steht offenbar nicht in Frage, dass es diesen Zusammenhang gibt.
Würdigung und Bedenken
Diese Auseinandersetzungen mit dem Populismus in der Gegenwartsmusik sowie mit Musikgenres, die bei Musikjournalist*innen wenig beliebt sind, ist löblich. Welcher Musikjournalist lässt sich schon gerne in die Niederungen von Deutschem Gangstarap, Heimatrock und Helene Fischer hinab. Die Anstrengung, sich auf fremdes Territorium zu begeben, war es wert.
Als Leser von «Pop und Populismus. Über Verantwortung in der Musik» denke ich über folgendes nach: Zuerst einmal glaube ich nicht so recht an den Verantwortungs-Appell, den Balzer in den Untertitel seines Buchs geschrieben hat. Radikale Kunst von links und rechts kann nicht mit Vernunft therapiert werden. Vermutlich sollten wir die Grenze zwischen Kunst und Politik hüten. So lange Avantgarden oder in neuerer Zeit Genres wie Gangstarap (früher war es Musik die man «Rock von rechts» titulierte oder rechtsextremer Metal) von ausserhalb des gesellschaftlichen Mainstreams agieren, sind sie relativ harmlos. Klar, sie provozieren und das sehr. Aber erst wenn die Ästhetik in die Politik und in den Alltag der Massen eindringt, wird es gefährlich (Nazi-Deutschland). Und wir sollten uns bewussts sein, dass Dünkel unsererseits, Verachtung und Ekel vor radikaler Kunst, diese nur noch umso mehr anstachelt. Acts wie Kollegah und Farid Bang haben nicht nur kraft ihrer Performance eine so grosse Anhängerschaft. Es sind Wertungen in der Gesellschaft, die Klassen und Gruppen bilden, die inkludieren und ausschliessen. Wen wundert's wenn die Ausgeschlossenen sticheln und provozieren? Es ist die Art, wie man als Outsider doch eine authentische Stimme erheben kann. Man inszeniert sich als Outsider und provoziert die Insider. Deren Verachtung bestätigt die Provozierenden in ihrem Outsidertum. Ein Teufelskreis.
In den 1980er Jahren bewirkten Politikergattinnen wie Tipper Gore, dass an Schallplatten mit radikale Musik Parental Advisory Kleber aufgebracht wurden. Die Aktion war so lächerlich, dass man in der alternativen Szene bald stolz darauf war, wenn der Kleber aufgebracht wurde.
Der Befund, dass Gangstarapper und Heimatrocker sich nicht an den Wagen neuer Rechtsparteien anspannen lassen, zeigt eigentlich deutlich, dass sie, auch wenn sie sich in ihren Texten rassistisch, sexistisch, antisemitisch äussern, dies bewusst im Feld der Kunst machen und darum herum eine klare Grenze ziehen – wenigstens bisher. Vielleicht lohnt sich eine opportunistische Haltung gegenüber der rechten Politik gegenwärtig noch nicht, aber wenn der Wind mal ändert, dann könnten sich auch die Grenzen auflösen. Das wissen wir (noch) nicht.
Es zeigt sich bei Aufzeichnungen der Echo-Awardshow deutlich, dass auch Kollegah und Farid Bang begriffen haben, dass im Feld von Pop und Kunst Dinge gesagt werden dürfen, die eben nicht so gemeint sind. Die Gesellschaft mutet sich selbst zu, dass ihre Künstlerinnen und Künstler mit Identitäten, Lebensformen, Diskursformen oder Inszenierungen experimentieren dürfen. Und das nehmen sie für sich und ihre Raps in Anspruch, auch wenn die Elite ihnen unterstellt, dass sie als Einwanderer und dümmliche Gangsterrapper diesen Unterschied gar nicht begreifen würden. Dieser Dünkel stachelt die Rapper umso mehr an, weiter zu provozieren, und ihr Publikum «Nutte bounce» mitzujohlen. Wer selbst einmal auf radikale Musik gestanden ist, weiss das.
Update nötig
Nach nur fünf Jahren ist im Feld der Politik so viel geschehen, dass ein Update des Buchs sehr spannend zu lesen wäre. Putin der Gangsta oder die polarisierten Wahlen in den USA gäben den Stoff her.
Weitere Quellen
– Deutschrap ideal: ECHO-SKANDAL 2018: War es nur eine Wette zwischen Kollegah & Farid Bang? | + Geleaktes Handyvideo (5. Februar 2023)

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