Musikzimmer Blog Post: Korpus

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Korpus

Der Begriff «Korpus» als lateinisches Lehnwohrt ist mehrdeutig und bezeichnet ...
1) den Resonanzkörper eines Instruments
2) ein Möbelstück oder ein Teil eines Möbelstücks
3) die Schriftgrösse beim Bleisatz in der Typografie
4) einen Abschnitt des Magens (lat. corpus gastricum) in der Anatomie
5) ein Textkorpus, d.i. eine Sammlung von Texten oder Quellen
6) den menschlichen Leib in Latein, speziell den Leib des gekreuzigten Christus («hoc est corpus meum»).
Textkorpus
Textkorpora sind in der linguistsichen, literarischen, sozialwisenschaftlichen und historischen Forschung ein Thema geworden, seit man mittels elektronischer Datenverarbeitung Texte oder andere Quellen untersuchen kann. So stellt die Wissenschaft Korpora als spezifische oder möglichst umfassende Text-/Quellensammlungen zusammen, die eine Art Referenz des Sprachgebrauchs oder des Wissens in einem Feld zu einer bestimmten Zeit darstellen. Korpora stellen eine empirische Basis für die Forschung dar (statt dass man von Kanones ausgeht. Ein Kanon beruht auf Wertungen, die man für viele Fragestellungen besser vermeidet. Eine Alternative ist von einem Repertoire oder einer Sammlung auszugehen. Diese sind aber meist von anderen als Forschungsinteressen entstanden oder zusammengestellt worden.
Forschung mit Korpora hat einige Sprengkraft: So sind z.B. musizierende Frauen und Minderheiten in der Regel in Kanones nicht gut repräsentiert, wo sie in Korpora enthalten sind.
Es stellt sich die Frage, wie eine Korpusmusikologie zu denken sei, wenn man nicht nur die Lyrics (das Sprachliche an den Songs) erforschen möchte.
Unterschied Korpus – Repertoire – Katalog – Sammlung
Das Korpus stellt als Gegenstand etwas fundamental anderes dar als eine Sammlung. Sammlungen sind in der Regel von privaten oder gesellschaftlichen Interessen zusammengetragen, deren Regeln und Kriterien nur bei professionellen Institutionen explizit dargestellt werden. Wo diese Kriterien fehlen, bezieht man die Sammlung auf den «persönlichen oder privaten Geschmack» der sammelnden Person oder Institution. Sammlungen sind offen, so lange der oder die Sammler*in aktiv bleibt.
Ein Repertoire ist wie die Sammlung auf eine Person oder Institution bezogen, aber auf der Produzentenseite. Ein Label, ein Orchester, eine Band, eine Künstlerin oder ein Künslter hat ein Repertoire. Das Repertoire ist, falls es erschlossen und bekannt ist, mit dem Ende oder Tod des Acts geschlossen.
Korpora sind nach definierten Kriterien zusammengestellt und sind gegenüber Sammlungen und Repertoires meist geschlossen. Jedes Korpus ist auf eine Fragestellung hin angelegt. Es setzt voraus, dass Quellen digital vorliegen und Annotiert sind. Die Annotationen dienen der Auswertung von nicht verbalsprachlichen Parametern oder Eigenschaften der Quellen. Korpora haben mit den Möglichkeiten, die die heutige Artificial intelligence mit ihren neuronalen Netzen bietet, grosses Potential. So könnte man viele musikalische Eigenschaften mit KI ermitteln, um das zeitaufwändige Annotieren zu rationalisieren.
Ein Katalog ist ein Verzeichnis von Quellen und betrifft nicht die Quellen selber.
Musikzimmer als annotierte Sammlungen im Feld der Populären Musik
Ein neueres Ziel von Musikzimmer ist es, ein oder mehrere Korpora der Populären Musik bereitzustellen. Themen sind: UK-Underground Rock und Frauen in der Rockmusik. Von der Verwendbarkeit als Korpus ist die Plattform aber noch weit entfernt, so dass die thematischen Verzeichnisse im besten Fall gut annotierte Song-Sammlungen sind. Von ihnen als Korpora zu sprechen ist einerseits vermessen, andererseits kann im Prinzip aber jede Fragestellung für Videos oder Vorlesungen auf (freilich unvollständigen) Korpora beruhen. Das Wort Textkorpus hat es bereits vor der maschinellen Verabeitung von Texten gegeben und so kann man Korpora mit kleinem Anspruch bilden, nicht perfekt, aber möglichst umfassend, so dass man nicht auf den eigenen Geschmack und die persönlichen Kenntnisse baut, sondern auf Tatsachen. Man hat eine Fragestellung, bildet ein oder mehrere Korpora und entwickelt dann Antworten auf die Fragestellung anhand der Korpora. Die verwendeten Korpora weist man aus, indem man sie digital hinterlegt. Das ist was man ohne ein Institut im Rücken als Forscher machen kann und soll.

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