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Uwe Ebbinghaus (Hrsg.) & Jan Wiele (Hrsg.): Drop It Like It's Hot. 33 (fast) perfekte Popsongs
Ein Buch mit Essays von Feuilletonist*innen, die über ihre Lieblingssongs schreiben. 33 Texte zu ebensovielen Popsongs, die zuerst in der FAZ-Reihe «Pop-Anthologie» in den Jahren 2016–2021 erschienen sind. Nur der Essay zum Lied der Rolling Stones ist eine Erstveröffentlichung. Man kann jubeln, dass die Popmusik endlich salonfähig wird und dass der Reclam Verlag mit diesem Buch die Einführungszeremonie dokumentiert. Oder man kann sich fragen, was mit der Ankunft von Pop im Feuilleton gewonnen ist und für wen.
Die Stellung von Pop und Kunst
Das Vorwort der beiden Herausgeber steht unter dem Titel: «Sie können ja wirklich singen». Es lotet die Stellung von Pop im Feuilleton aus. Es beginnt mit einem historischen Kontrastprogramm, der Beatlemania. 1964 habe das FAZ-Feuilleton abschätzig und ignorant von einer «landesweiten Mistkäferplage» geschrieben. Mittlerweile aber ist Pop ein positives Thema für die Kulturredaktionen geworden. Ist Pop deshalb gleichwertig mit der Hochkultur oder muss Pop sich dem hochkulturellen Zugriff entziehen, um seinen Status als «Paukenspiel und Triebabfuhr» zu verteidigen? In der «Pop-Anthologie» der FAZ, so legen die beiden Herausgeber dar, wird für Leser*innen geschrieben, die sich (a) für Pop interessieren, die (b) denken, dass Pop Kunst in dem Sinn ist, dass man Lieder interpretieren kann und muss, ohne dass (c) deshalb notwendig alles an Pop zur Kunst erklärt wird. Was aber ist Pop und was an Pop kann Kunst sein, so dass Pop Feuilleton-würdig wird? Hier finden die Herausgeber verschiedene Antworten:
Erstens schreiben die Herausgeber Pop die Rolle der Brechtschen Verfremdung zu. Wer singen, wer spielen kann, kommt für Pop nicht infrage. «Hören's auf, hören's auf. Sie können ja wirklich singen!» zitieren sie eine Anekdote von Bertold Brecht und setzen sie als Titel. Pop strahle nicht durch Kompetenz, sondern durch einen Verfremdungseffekt, der aus dem Epischen Theater bekannt ist. Modell, ohne dass die Herausgeber das explizit sagen, ist also die Dreigroschenoper, deren Songs nur funktionieren, wenn sie von vokaltechnischen Antitalenten gesungen werden.
Pop oder vielmehr guter Pop sei zweitens ein Modus der zweckentfremdeten Brauchbarkeit. Ein Modell für diese Erkenntnis ist die Pop-Art, die Gebrauchsgegenstände des Alltags als Material für Kunstwerke verwendet. Was sich bei dieser kultursemiotischen Sichtweise aufdrängt, sind die Popsongs, die in der Oper oder im Theater verwendet werden. Als Christian Spuck Büchners «Leonce und Lena» als Ballett im Zürcher Opernhaus aufführte – dieses Beispiel stammt nicht von den Herausgebern –, verwendete er darin prominent A Little Bitty Tear von Burl Ives (siehe den Trailer der Aufführung). Spuck macht Kunst, Ives war Pop. Klare Grenzen, garantiert durch die Institutionen, die die Werke hervorbringen. Die Herausgeber verwenden ein weit fragwürdigeres Beispiel, nämlich den Depeche Mode Song Personal Jesus, der in der Interpretation von Johnny Cash zur Kunst werde. Zur Kunst wird die Coverversion durch die Bezüge zu Cashs Leben und seinem Lebenswerk. Wichtig sei die «performance», die Aufführung. Das Beispiel ist unscharf, denn man fragt sich, weshalb Cash ein Garant für Kunst sein soll, war doch auch er zeitlebens im Feld von Pop tätig.
Drittens sprechen die Herausgeber von Popsongs als Schnäppchen für Lyriksuchende. Lyrik und Lyrics sind nicht dasselbe. Den Unterschied macht, dass gute Popsongs gar nicht Lyrik sein wollen (sonst hätten sie schon verloren). Eine Hörer*in soll ungezwungen zuhören können (was eine Art der Freiheit sei). Auf der naiven Ebene des Zuhörens – Lyrik «widerfährt, ohne sich aufzudrängen» – wird Pop zu einem Ereignis in der Wahrnehmung einer Rezipientin oder eines Rezipienten.
Gedanken zum Buchtitel
Die behandelten Popsongs sind fast perfekt, nicht perfekt. Die Klammer im Titel steht dabei vermutlich zur Erzeugung von doppeltem Sinn. Man liest zweierlei: Es sind erstens perfekte Popsongs. Zweitens sind sie als solche keine perfekte Kunst. Man kann die Einklammerung des «fast» als Unentschiedenheit lesen. Oder als ein Nacheinander von Sinnlichkeit und Verstand, Wahrnhemung und Denken, Vernunft und Urteilskraft. Man muss den Titel zuerst ohne, dann mit Klammer lesen: Ohne Klammer drückt er das bewusste Bejahen und die emphatische Übertreibung aus, die das Wohlgefallen von Popsongs begleitet. Die Anziehungskraft von Pop ist unbedingt, das Kind in uns, das Unbewusste, die Lust hält guten Pop schnell für perfekt. Mit der Klammer kommt das Nachdenken über den Song und über uns selbst ins Spiel. Es relativiert die primäre und unbedingte Bejahung. Diese Relativierung aber fehlt bei den schönen Künsten, die im Feuilleton thematisiert werden. Warum nur? Die Antwort muss wohl sein, dass die Künste, die das Feuilleton verhandelt, schon immer in Reflexionsprozesse eingelassen sind. Es gibt einen öffentlichen Diskurs über sie.
Das «fast» bringt zudem eine «listige Bescheidenheit» zum Ausdruck, wie die Herausgeber es nennen. Im Pop wird nur gespielt, so getan als ob (man Kunst machte). Pop will gar nicht perfekt sein, sondern immer nur fast perfekt. Pop ist damit zu einem postmodernen Spiel relegiert, lustvoll aber schliesslich unbedeutend, wenn nicht eine ernste Kunst Pop verwendet und die Höhen der Kunst erhebt.
Gedanken zu Pop und Feuilleton
Das Feuilleton sind die Seiten in einer Zeitung wie der FAZ, die für denkende und lesende Menschen geschrieben sind. Auch diese Menschen mögen heute zuweilen Pop, allerdings reagieren sie meistens auf die Lyrics und seltener auf die Musik. Soweit, alles in Ordnung. Was hier mit keinem Wort erwähnt oder in Frage gestellt wird, ist der Wert der im Feuilleton behandelten Kunst. Sie ist natürlich eine Selektion, die auf Wertung beruht. Im Feuilleton wird relevante Kultur verhandelt, reflektiert. Aber was heisst «relevant»? Im deutschen Sprachraum gilt noch immer die Formel: Feuilleton ist Hochkultur. Anders gedreht: Feuilleton ist Kultur der Elite oder der Eliten. Die erste Formel definiert sachlich, die zweite sozial. Im Vorwort werden diese beiden Ebenen nicht sauber getrennt. Wenn die Elite beginnt, Pop zu akzeptieren, Pop zu hören und Pop zu mögen, dann wird Pop in sozialer Hinsicht Teil der Hochkultur. Geschehen ist das zuerst in den USA in den 1970er Jahren. Jimmy Carter war der erste Rock liebende Präsident. Im Vereinigten Königkreich kam in den 1990er Jahren mit Tony Blair eine vergleichbare Person an die Macht. Pop wurde in den letzten 50 Jahren zunehmend zu einem Gegenstand, der von einer breiten Öffentlichkeit (und damit auch den Eliten) wahrgenommen wurde. Sachlich hingegen macht man den wertenden Unterschied zwischen Pop und Hochkultur.
Am prinzipiellen Unterschied zwischen Pop und Hochkultur ist etwas Grundsätzliches falsch oder verschoben: Jede Art der Kunstproduktion, bringe sie Werke der populären oder der schöne Künste hervor, bringt eine kleine Zahl bedeutender Werke hervor und produziert Schrott in grossem Mass. Egal in welchem Feld künstlerisch gearbeitet wird, es sind nur ausgewählte Werke, die anderen Menschen, relevanten Kulturinstitutionen (Museen, Orchester, Verlagen, Labels usw.) tatsächlich etwas bedeuten. Aber es wird immer so getan, als würde Schrott nur im Pop produziert und wer eine Kunstakademie, eine Hochschule der Künste besucht hat, sei gefeiht davor. Aber es sind doch nicht Gattung, Genre, Stil, die auf gute und schlechte Kunstproduktion festgeschrieben sind! Vorwort und Buchtitel dieses Reclam-Bands verraten aber genau diese falsche Sichtweise.
Die schönen Künste haben gesellschaftlichen Institutionen wie Museen oder Opernhäuser, die eine Selektionsleistung vollbringen. Werke, die in diesen Kulturmaschinen aufgeführt werden, sind wertvoll. Wenn das Feuilleton darüber berichtet ist die Selektion bereits vollzogen. Pop hat keine vergleichbaren Kulturmaschinen. Die Hitparade vermutet man, ist es nicht. Museen gibt es fast nur in Amerika (die Hall of Fames). Wenn Feuilletons über Pop schreiben, haben sie als Masstab keine Institutionen, sondern nur den eigenen Geschmack oder die Hitparade. Erstes ist problematisch: Es ist, als würde nicht die relevante Literatur thematisiert, sondern die Ferien- und Bettlektüre der Journalist*innen. Wenn Pop ins Feuilleton kommt, dann schreiben diese Autor*innen über ihre Ferien, Freundinnen oder dass sie mit eingegipstem gebrochenem Arm am ersten Rolling Stones Konzert ihres Lebens waren (z.B. Maik Brüggemayers in Pop. Eine Gebrauchsanweisung). Der Schrott der Journalist*innen sollte nicht auf die Musik, die verhandelt wird, abfärben. Wenn Journalist*innen über die in den Hitparaden erfolgreichen Songs schreiben, machen sie sich der Komplizenzschaft mit dem Populismus schuldig. Doch dass der Populismus als eine der schlimmsten Sünden ist, ist nur in der Logik der Hochkultur ein Vorurteil, nicht die Logik von Pop. (Man muss hier natürlich sagen, dass es nicht nur eine Logik von Pop und eine Logik von Hochkultur gibt, sondern dass sie zeitlich und sozial variiert.)
Dass Sachfragen rund um Pop und Feuilleton so brennen, ist vielleicht eine deutsche Eigenheit. Da ich keine französischen Zeitungen lese, weiss ich nicht, wie das dort ist. In den USA und England gibt es diese Debatte kaum. Ich vermute sie kommt daher, dass in Deutschland bei Pop-Journalist*innen seit spätestens Diedrich Diederichsen eine Wille zum Feuilleton feststellbar ist (siehe Musikzimmer). Theorie-besessene und Theorie-begabte Autor*innen wie Diederichsen wollten ins Feuilleton, strebten dies wie eine Adelung an. Die ökonomische Basis für diesen Willen zur Macht war vermutlich, der stark empfunden Druck durch die Strukturänderungen in der Branche. Diederichsen hat die Spex vom Fanzine zu einer Elite-Zeitschrift geführt. Spex jedenfalls ging ein. Ist die Leser*innenschaft wegen der Intellektualisierung des Magazins geringer geworden oder wegen dem Internet, das den Zugang zu Informationen zur Musik demokratisiert und aus den Händen der Gatekeeper in den Kreisen der Musikjournalist*innen gerissen hat?
Fazit
Schaut man sich die Sache aus der Perspektive von Pop an, kann man sagen, Pop ist es egal, ob es im Feuilleton vorkommt oder nicht. Pop hat nichts dagegen, von Intellektuellen gekauft und gehört zu werden. Pop strebt indes nicht danach, intellektuell seziert zu werden. Ich glaube, das würden die Herausgeber dieses Bandes auch so sehen. Was sie weniger sehen, sind die Voraussetzungen der Stoffe des Feuilletons und die ästhetische Wertung, die die Gesellschaft vornimmt. Es ist die alte hochkulturelle Überheblichkeit, die immer noch spielt, wenn Pop lediglich das beiläufig Aufgeschnappte darstellt. Als solches ist Pop die Lizenz für Feuiletonist*innen, autobiografisch statt sachlich zu schreiben.
Querverweise
– zur Liste mit den 33 Songs und zur zugehörigen PLAYlist
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