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Charles Hamm: Modernist Narratives and Popular Music
«Putting Popular Music in its Place» ist eine Sammlung von Essays von Charles Hamm, die sich mit der Geschichte und dem Kontext der populären Musik befassen und die Beziehung dieser Musik zu anderen Gattungen – vor allem der klassischen Musik – untersucht. Hamm interessiert sich zudem dafür, wie das Publikum populäre Musik interpretiert und wie Institutionen sie für ihre eigenen Zwecke nutzen. Das erste Kapitel aus dem Buch ist eine Rekonstruktion modernistischer Narrative über populäre Musik, verfasst im November 1993.
Hamm geht davon aus, dass populäre Musik ein Produkt der Ära der Moderne sei, die im späten 18. Jahrhundert beginnt und mit dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts zu Ende geht («industrial revolution»–«late capitalism»). Die Moderne war bestimmt von Diskursen, die die Welt hierarchisch beschrieben. In der Postmoderne herrschen hingegen Diskurse vor, welche die Welt als geprägt von Fragmentierung sehen, Diskontinuität, Ephemeralität und einem Chaos, das man in Wirtschaft, Politik, sozialen Verbindungen und Künsten wahrnehmen könne. Hamm schreibt seinem Aufsatz nicht zu, eine vollständige Übersicht über die Literatur zur Populären Musik zu sein, sondern sieht ihn als ein Versuch, die modernistischen Narrative zu identifizieren und zu beschreiben, die die Diskurse über diese Musik-Gattung geprägt hätten.
Das Narrativ der musikalische Autonomie
Zu Beginn der Moderne (d.h. bei Hamm seit der Industrialisierung und dem Aufkommend es Bürgertums) habe sich in der westlichen Welt eine Unterscheidung zwischen der Musik der Elite, die als «high art», und der Musik der einfachen Leute, die als «low art» galt, entwickelt (siehe Stichwörter Wertung und High vs. Low). Die musikalische «high art» (siehe: Kunstmusik) umfasste sowohl die Klassische Musik als auch die technisch weniger anspruchsvolle Musik des bürgerlichen Salons. Die geringere oder minderwertigere Musik unterteilte sich in die Volksmusik (siehe: folkloristische Musik) und die populäre Musik. Die Kunstmusik basiert auf Notation, Professionalität und einem Publikum, das kontemplativ zuhört.
In der Moderne galt der Text als das Wesentliche an der Musik. Die musikalische Komposition war erstens wichtiger als die Produktion, denn es waren weder die perönlichen Umstände der Musikerin oder des Musikers noch die gesellschaftlichen Produktionsbedingungen, die einem Werk seine Bedeutung verliehen. Die musikalische Komposition galt zweitens auch als unabhängig von der Rezeption. Das Werk musste für sich selbst stehen. Aus der Perspektive der Postmoderne gilt das klassiche Repertoire als etwas, von dem überdauernde Ordnung und Herrschaft ausgehe.
Kunstmusik sei autonom. Ihre grösse sei allein ihrer inneren Verfassung abzulesen: Melodie, Harmonie, Rhythmus, Form und Arrangement («instrumentation»). Die grössten Meisterwerke der Kunstmusik seien Ausdruck eines Genies und «ideale Objekte mit unveränderbarer und ewiggültiger Bedeutung» (Carl Dalhaus). Drei konstitutive Faktoren für die Kunstmusik würden seit dem deutschen Idealismus immer wieder betont: Das Autonomieprinzip, die Genieästhetik und die Originalität.
Wer sich mit Kunstmusik auseinandergesetzt hat, hatte keine Veranlassung, sich ebenfalls mit populärer oder Volksmusik zu befassen, da diese anderen Musikgattungen als minderwertig galten. Wer sich indes mit populärer Musik auseinandersetzte, teilte die Wertung und den Gegensatz von High vs. Low. Hamm bemerkt, dass praktisch alle Fachliteratur über populäre Musik, die bis in die 1970er Jahre geschrieben worden ist, nicht von Akademiker*innen stammte, sondern von Journalist*innen und Dilettanten. Deren Schreibe ignorierte die vorherrschende Wertung oder schrieb der Populären Musik einen eigenen Wert zu. Worin lag dieser Wert, wenn nicht in der Musik selbst, ihrer Autonomie, Genialität und Originalität? Sigmund Spaeth, der Autor der ersten buchlangen Studie über populäre Musik, behandelte seinen Gegenstand als «äusserst aufschlussreicher Index des amerikanischen Lebens». Diese Musik fasse die Ethik, die Gewohnheiten, den Slang und den intimen Charakter jeder Generation zusammen. Auch die meisten der auf Spaeth folgenden Abhandlungen zur populären Musik teilten diese Auffassung der musikalischen Minderwertigkeit dieser Musik, schrieben ihr aber die Fähigkeit zu, das Leben des (amerikanischen) Volkes zu widerspiegeln. Populäre Musik war damit ein Gegenstand der [Alltags- und] Sozialgeschichte. Hamm schliesst damit, dass wer über Populäre Musik schreibe und nichts über die Musik selbst zu sagen habe, diesem Narrativ der musikalische Autonomie aufsässe.
Das Narrativ der Massenkultur
Die Moderne sei geprägt von Kommunikationssystemen (siehe Schlagwörter: Medientechnologie und Massenmedien), die es ermöglichen, kulturelle Produkte weiträumig zu verbreiten. Da diese Systeme wirtschaftlich motiviert waren [da spricht Hamm wohl von den USA, denn in Europa war dies nicht der Fall] und die Massen den Grossteil der Bevölkerung ausmachen, hat es die Kommunikationsindustrie aus wirtschaftlicher Sicht für notwendig erachtet, Produkten Vorrang einzuräumen, die auf das geringere künstlerische und moralische Niveau der unteren Klassen ausgerichtet sind. Dabei sinke das allgemeine kulturelle Niveau auf den kleinsten gemeinsamen Nenner und kultivierte künstlerische und moralische Standards würden dadurch in Gefahr geraten.
Die von protestantische Eliten geprägte amerikanische Identität sei durch die hohe Immigration von Südeuropäer*innen und durch die Arbeiterklasse, die Forderungen stellten, um die Jahrhundertwende unter Druck geraten (Hamm referiert hier das Buch von MacDonald Smith Moore: Yankee Blues: Musical Culture and American Identity. Bloomington, 1985). Ein weiterer Faktor, der die Eliten unter Druck setzte, waren die Massenmedien: Die Elite hatte sich vor deren Einführung nicht um die «minderwertigen» Kulturprodukte der unteren Klassen kümmern müssen, solange diese auf ihre eigenen Kulturräume beschränkt waren. Mit der Entwicklung der neuen Massenmedien indes – Radio, Phonograph, Film – verliessen diese Inhalte ihre bisherige Domäne und wurden der gesamten Bevölkerung zugänglich gemacht.
Es wurde argumentiert, dass Massenkultur nichts Gutes ist und sein kann. [Das lag an einem Begriff der Masse, der ideologisch negativ gefärbt war. Die Massen waren die demonstrierenden Arbeiter oder Horden von Immigranten, die die herrschende Religion nicht teilten.] Die Masse galt damals als unorganisierter revolutionärer Menschenhaufen, in dem die Einzelnen ihre humane Identität und Qualität verloren. Eine Massengesellschaft war wie eine Menschenmenge, deren Standards nicht höher sein konnte als der kleinste gemeinsame Nenner. Die Massen würden von den brutalsten und primitivsten Individuen angeführt und somit kämen aus den Massen keine anderen, besseren Eigenschaften hervor.
Ein weiterer Faktor neben der Masse war die Kommerzialität. In der Massengesellschaft würde das Leben auf eine ununterbrochene, kommerziell vorgefertigte Masturbationsphantasie reduziert (Hamm zitiert hier den Kulturkritiker Allan Bloom).
Das erste Narrativ der Authentizität
Das (erste) Narrativ der Authentizität lautet: Ein ursprünglich genuiner bzw. authentischer Ausdruck einer Kultur wird durch die Dissemination über Massenmedien zu einem Witz. Hamm demonstriert anhand der Diskurse über Ragtime und Jazz, wie dieses Argument vorgetragen wurde. Oft verbindet sich die Argumentationslinie mit einer massiven Portion Antisemitismus (da viele Executives der Musik- und Unterhaltungsindustrie jüdisch waren). Zudem verbindet sich das Argument mit Rassismen aller Art: Jazz sei eine Kunst der Afroamerikaner*innen und würde durch weisse Musiker verpopt. Oder es gäbe den [negativ oder umgekehrt rassistischen] Jazzdiskurs, der weisse Musiker weitgehend oder ganz ignorierte (die Geschichtsbücher von Martin Williams oder Gunter Schuller). Hamm verdeutlicht, dass es ihm nicht darum gehe, die Rolle der Afroamerikaner*innen bei der Entstehung und der Entwicklung von Jazz zu negieren, auch nicht, die Rolle der weissen Musiker aufzublasen, sondern lediglich die Annahme als ideologisch auszuweisen, dass ein gewisses afroamerikanisches Repertoire authentischer sei als ein anderes, weisses oder weissgewaschenes.
Die negative Kraft des Kommerzes bringt Marshall Sterns in seiner «Story of Jazz» wie folgt auf den Punkt: «Tin Pan Alley und die Produktion von Hits sind ein grosses Geschäft, in das viel Geld investiert wird. Die Anleger wollen natürlich eine gute und vor allem konstante Rendite ihrer Investitionen. Also finden sie heraus, was sich verkaufen lässt, reduzieren es auf die einfachste Formel und stellen es wie Blechdosen am Fliessband her. Wenn man den Durchschnittsmenschen mit allen Arten populärer Musik vertraut macht, kann man mit Sicherheit sagen, dass er früher oder später die überragende Vitalität und Ehrlichkeit («honesty») des Jazz erkennen wird.»
Sterns Argument wurde nicht nur im Zusammenhang mit der Geschichte des Jazz dargelegt, sondern im Rahmen von allen ursprünglich folkloristischen Musikstilen, zumal von Folk. Die Vorstellung ist, dass eine neue Musik in einem kleinen kulturellen Raum entsteht, der isoliert ist, in dem eine überschaubar kleine Zahl von genialen Akteur*innen eine genuine neue Musik erfinden, die, sobald sie kommerziell verwertet wird, notwendig kontaminiert wird. [Man erinnere sich an die Diskussionen in Indiezirkeln der 1980er Jahren, die von Ausverkauf schwätzten, wenn eine Indieband plötzlich ein grösseres Publikum anvisierte oder das Indie- für ein Mainstreamlabel wechselte.]
Das Narrativ der klassischen populären Musik
Dieses lautet: Populäre Musik kann – genau wie Kunstmusik – Meisterwerke hervorbringen. Ihre Identifizierung, die Erläuterung der Unterschiede zwischen ihnen und minderwertigen Produkten sowie deren Erhaltung läge in der Verantwortung des Kritikers und Wissenschaftlers. Da notierte Kunstmusik überdauernd ist [eine Folge von Notation und dem Ideal der Werktreue] und oral tradierte populäre und folkloristische Musik ephemeral, erfährt letztere von Aufführung zu Aufführung und im Lauf der Zeit Variation und Transformationen. Da populäre Musik gedruckt und seit den 1890er Jahren auf Schallplatte aufgezeichnet wird, gilt das für sie nur beschränkt bzw. nicht mehr. Für Werke, die Stabilität in der Zeit erreicht haben, etablierte sich die Sprechweise einer «klassischen Komposition» oder «Aufnahme» (siehe Stichwort: Klassische Musik). Dem Ragtime sei das widerfahren und dem Jazz. Im Ragtime waren es einzelne Werke, im Jazz ein ganzer Kanon von Werken. Sodann habe sich die Vorstellung verbreitet, dass innerhalb eines bestimmten populären Genres wie dem Jazz, den Broadway-Musicals, den populäre Balladen bis hin zur Country-and-Western-Musik ein Kanon künstlerisch anspruchsvoller und damit «klassischer» Stücke herausgebildet hat. Gewisse Autoren sind dann so weit gegangen, dass sie ein ganzes Genre mit dem Prädikat «klassisch» ausgezeichnet hätten. Freilich wurde dieses Argument auch als Marketingkniff vorgetragen, wenn Labelbetreiber wie John Hammond oder Manager es benutzten, um ihren populären Produkten eine andere Aura zu geben. [Eine solche Adelung bestimmter Werke oder Musikgenres wurde z.B. von Diedrich Diederichsen als Re-Entry der Unterscheidung High vs. Low in die Sphäre von «Low» bezeichnet und als Popmusik thematisiert.]
Das Narrativ der Jugendkultur
Die wirtschaftliche Prosperität des Westens nach dem Zweiten Weltkrieg erzeugte überschüssiges Bargeld für den Kauf von Tonträgern und Konzerttickets sowie Freizeit, in der man unterhalten werden wollte. Insbesondere machten junge Menschen rege von Unterhaltungsangeboten Gebrauch. Dem entsprechend widmete die Unterhaltungsindustrie der Jugend, die als Teenager zu einem Konsumsegment zusammengefasst wurde, grosse Aufmerksamkeit. Neue Technologien haben dafür gesorgt, dass aufgenommene Musik auch für Teenager und jüngere Menschen finanziell erschwinglich wurde und die Musikindustrie hat darauf mit einer massiven Produktion von Musik reagiert, die sich an dieses kaufkräftige Publikum richtete. Nun war es in dieser Zeit, in der die Populäre Musik zum ersten Mal wissenschaftlich untersucht wurde, und zwar im Feld der Soziologie als Erforschung des Verhaltens der Jugend. Simon Frith, ein früher Exponent, machte deutlich, dass Popmusik und Jugend zusammengehöre und dass die Soziologie der Rockmusik nicht von der Jugendsoziologie zu trennen sei.
Diese narrative Strategie führte anfangs in vielen Fällen direkt in den Diskurs über Jugendkriminalität. Rock 'n' Roll wurde mit der «juvenile delinquency» verknüpft. Mit der Entstehung der Rock-Musik am Ende der 1960er Jahre veränderte sich dieser Diskurs zur Repräsentation der Jugend als Heilmittel für eine kranke Gesellschaft. Dieser Hippie-Diskurs verkaufte Jugendkultur und Rockmusik als eine Kulturrevolution, die sich verwirklichen wird, wenn die Jugend und die jungen Leute sich von den Fesseln befreien, die ihnen die Gesellschaft auferlegte, und damit das falsche Bewusstsein abschütteln würden. Charakteristisch für diese Jugendsoziologie war, dass die Kategorie der «Jugend» (siehe Stichwort: Jugendkultur) durch alle Klassen, Hautfarben und Kulturen hindurch verlief.
In Grossbritannien blieb auch zur Zeit der Entstehung der Rock-Musik das Thema der sozialen Klasse virulent. Deshalb entstanden in Birmingham die cultural studies mit ihrem Narrativ von der Arbeiterjugend («working-class youth»), die ein Opfer des Kapitalismus sei. Das führte zur Verklärung von Subkulturen, die Elemente der Mainstreamkultur aproppriierten, und so Zellen der Opposition bildeten. Beispiele waren Teds, Skinheads oder Mods. Dieser Diskurs härtte aber übersehen, dass Jugend und Klassenkampf in anderen Kulturen als der britischen von geringerer Relevanz waren, z.B. bei Afroamerikaner*innen oder Südstaatler*innen.
Das zweite Narrativ der Authentizität
Auch wenn eine Massengesellschaft kulturelle Produkte herstellt und disseminiert, können diese nie und nimmer authentisch sein. Authentizität sei stets auf einen lokalen kulturellen Raum beschränkt. Nur Folklore könne im Rahmen von «low» authentisch sein, nie aber Populärkultur . Kapitalistische Kulturprodukte fördern in Wirklichkeit die Ideologie der herrschenden Klassen und verstärken die Entfremdung der Arbeiterklasse, selbst wenn sie vorgeben, die Anliegen der Massen anzusprechen. Dieses Narrrativ kann man als neo-marxistischen Diskurs bezeichnen.
Zum wissenschaftlichen Gegenstandsfeld ist populäre Musik erst 1981 mit der Gründung der IASPM und ihrer ersten Konferenz, der «First International Conference on Popular Music Research», in Amsterdam geworden. Damals kam auch der erste Jahrgang der wissenschaftlichen Zeitschrift dieses Gremiums heraus: «Popular Music». Auch die ersten Schriften und Diskussionen der IASPM seien vom Neomarxismus geprägt gewesen. Peter Wickes Beitrag «Rock Music as a Phenomenon of Progressive Mass Culture» schloss mit den Sätzen: «Hier haben wir ein gemeinsames Ziel: die Emanzipation aller Menschen und der Massen hin zu einer gesellschaftlichen Praxis, die eine Alternative zu der des Kapitalismus darstellt.» Der Beitrag erntete grossen Applaus.
Danach verlagerte sich der Schwerpunkt der Fachliteratur der 1980er Jahre in Richtung Produktion und Vermittlung. Beide Themen waren Bühnen, die für ökonomische Analysen empfänglicher waren, und zwangsläufig mündete ein Grossteil der daraus resultierenden Literatur in eine Kritik des Kapitalismus bzw. der kapitalistischen Popmusik selbst.
Die neomarxistische Perspektive und ihr Narrativ behauptete, dass die kapitalistische Produktion den «authentischen Ausdruck» bestimmter Gruppen negiere und dass nicht ethnische Zugehörigkeit, sondern soziale Klasse diese Gruppen definieren würden. Massenproduzierte, kommerzielle Produkte würden dem Proletariat nur aufgezwungen [würden falsches Bewusstsein erzeugen] und könnten niemals als Ausdruck des [authentischen] Bewusstseins dieser Klasse erscheinen. Jede Forderung der Jugend nach grösserer Freiheit oder authentischem Ausdruck würden notwendig in etablierte Stereotypen der Rebellion kanalisiert und so in den Rahmen der vorherrschenden Musikideologie artikuliert werden (Richard Middleton).
Charles Hamm setzt dem Narrativ die Überlegung entgegen, dass die intensivsten und folgenschwersten Konflikte der letzten Jahre zwischen den Zentralregierungen grosser Nationalstaaten und sich selbst definierenden Gruppen innerhalb dieser Staaten statfanden. Die Staaten in Afrika, Asien, Amerika und Europa hatten verschiedenste Regierungen. Ihnen allen ging es um die Aufrechterhaltung von sozialer Kontrolle und Ordnung, die sie von sich selbst definierenden ethnischen, nationalen, regionalen oder themtisch inspirierten Gruppen im ihrem Inneren bedroht sahen. Diese Kämpfe häten das politische und kulturelle Gesicht der Welt radikal verändert und sie hätten wenig oder gar nichts mit Klassenkonflikten zu tun. Oft seien diese Gruppen von Autoren missverstanden worden, die über die Unfähigkeit der Arbeiterklasse besorgt waren, im System der modernen Massenmedien einen «authentischen» Ausdruck ihrer Identität zu finden. [D.h. der eigentliche soziale Kampf sei der von Minderheiten gegen hegemoniale Systeme, nicht ein Klassenkampf!] Der Neomarxismus selbst sei eine modernistische Meta-Erzählung, die als Reaktion auf die Bedingungen der Moderne formuliert wurde, und wie andere modernistische Meta-Erzählungen könne nicht erwartet werden, dass diese grossen Erzählungen in der postmodernen Welt noch weiter Sinn machten.
Die neuen postmodernen Stimmen
Es gab einzelne Autoren, die populäre Musik von einem anderen Ausgangspunkt untersuchten. Dieser Punkt konnte sein, dass populäre Musik ein eigenes Leben, eine eigene Legitimität oder eine eigene Ideologie habe oder dass die Massenmedien in der modernen Kultur eher eine konstruktive als eine destruktive Rolle gespielt hätten. Schon Isaac Goldberg verzichtete auf die High vs. Low Unterscheidung und sah den Unterschied zwischen der Kunst- und der populären Musik als einen graduellen. D.h. er verzichtete auf die Gattungs-Differenz. Auch hat Goldberg bemerkt, dass Radio [und folglich auch andere Medien wie Tonträger] gewisse Repertoires oder Corpora am Leben erhalten haben und folglich nicht apriori zerstörerisch wirkten.
Charlie Gillett ging in The Sound Of The City davon aus, dass Autor*innen und Publika sehr wohl bestimmen können, was der Inhalt ihrer Songs und Botschaften seien, auch wenn diese Inhalte massenmedial verbreitet werden. Er untersucht Prozesse der Produktion und Promotion ohne zu unterstellen, dass diese vom Kapitalismus dominiert seien. Für den Rock 'n' Roll beschreibt er fünf musikalische Stile, ohne die Musik zu bewerten.
Die Literatur über Country & Western Musik kommt interessanterweise ganz ohne die modernen Ideologien und Narrative aus. Massenmedien spielten keine destruktive Rolle in dieser Musikart, sondern verhalfen ihr zu grösserer Anerkennung. Bill Malone wird zitiert: «Country music is not merely a facet of southern culture, but is also southern culture's chief industry.» [Das ist vermutlich nicht ohne Stolz auf diese Kultur und Musik geschrieben.] Die meisten Autor*innen von Büchern über Country & Western kamen aus dem kulturellen Umfeld der Musik, wohingegen die meisten Soziolog*innen, die über Populärkultur schrieben, aus der Hochkultur kamen und von aussen auf ihren Gegenstand schauten.
Eine Ausnahme war Wilfrid Mellers, der klassisch trainiert war, aber Bücher über die Beatles und Bob Dylan schrieb. Für ihn war das Ziel der Musikanalyse die Beschreibung der Komposition und das Identifizieren derjenigen Details, die diese Komposition zum funktionieren im Sinne der Autorintention bringen. Ebenso will Mellers Musik durch stilistische Analysen erklären, die er historisiert.
Modernistische Narrative in der Postmoderne
Die modernistischen Narrative seien auch in der Postmoderne nicht tot. Es sei nie die kommerzielle Musik von Elton John, Creedence Clearwater Revival, Barbra Streisand oder Stevie Wonder, die von wissenschaftlichen Arbeiten untersucht werde. Philip Tagg habe einmal bemerkt, dass populäre Musik durch die Ignoranz der Akademie definiert werden könne. Populär wäre dann jede Musik, die von Akademiker*innen an den Konservatorien und in den Universitäten nicht gekannt, nicht gemocht und nicht behandelt wird.
Charles Hamm diskutiert dann noch weitere Werke von Autoren aus den 1980er Jahren, die Auswege aus den modernen Vorurteilen skizzieren: Andrew Ross, Sara Cohen, Leslie Gay oder Venise Berry.
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