Musikzimmer Blog Post: Medientechnologie 2 – Telegrafie und Telefonie

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Medientechnologie 2 - Telegrafie und Telefonie

Telegrafie und Telefonie sind beides Technologien zur Übermittlung von Nachrichten über Distanz. Die Telegrafie überträgt in Morsecode codierte Texte (bennant nach Samuel Morse) als elektrische Impulse. Dies ist eine Form der digitalen Codierung, da die Information in diskreten Einheiten (Strom oder kein Strom, ein oder aus) vorliegt. Die Telegrafie wurde oft mit einer Metapher aus der Musik umschrieben: «the singing wire». Kein Wunder, dass Songs über die Telegrafie diesen Ausdruck aufnehmen, zum Beispiel Telegraph Road:

And the birds up on the wires and the telegraph poles
They can always fly away from this rain and this cold
You can hear them singing out their telegraph code
All the way down the telegraph road 
oder Wichita Lineman
I hear you singin' in the wire, 
I can hear you through the whine
And the Wichita lineman is still on the line
Die frühe Telefonie dagegen überträgt gesprochene Sprache analog. Das Telefon wandelt Schallwellen in elektrische Signale um, deren Form den Schallwellen entspricht. Moderne, digitale Telefonie hingegen übersetzt die Sprache in digitale Datenpakete. Der Unterschied zwischen analoger und digitaler Codierung liegt in der Art der Informationsdarstellung: analog als kontinuierliche Welle, digital als Folge diskreter Werte.
Semaphorische Telegrafie
Napoleonische Semaphore Station. Bildquelle: WikipediaEin Vorläufer der Telegrafie waren die semaphorischen Systeme, die mit Flaggen zwischen Stationen in Sichtkontakt (meist auf Türmen) funktionierte.
Das napoleonische Semaphore-Netzwerk war ein optisches Telegrafiesystem, das im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert in Frankreich verwendet wurde. Es ermöglichte die schnelle Übermittlung von Nachrichten über grosse Entfernungen, Jahre bevor die elektrische Telegrafie erfunden wurde. Das System bestand aus einer Reihe von Türmen, die in Sichtweite zueinander auf Anhöhen errichtet wurden. Auf jedem Turm befand sich ein Signalmast mit beweglichen Armen (Semaphore), die verschiedene Positionen einnehmen konnten. Jede dieser Positionen entsprach einem bestimmten Code, der Buchstaben, Zahlen oder ganze Wörter repräsentierte. Ein geschulter Bediener auf einem Turm beobachtete die Signale des benachbarten Turms mit einem Teleskop und stellte die Arme seines eigenen Masts entsprechend ein, um die Nachricht weiterzuleiten. Auf diese Weise konnte eine Nachricht von Turm zu Turm übermittelt werden, bis sie ihr Ziel erreichte.
Das napoleonische Semaphore-Netzwerk war eines der größten und fortschrittlichsten seiner Zeit. Es erstreckte sich über mehr als 5000 Kilometer und umfasste über 500 Stationen. Die Hauptlinien verliefen von Paris nach Brest, Strassburg, Toulon und Mailand. Nachrichten konnten mit einer Geschwindigkeit von etwa drei Zeichen pro Minute übertragen werden. Das bedeutete, dass eine Nachricht von Paris nach Lille (etwa 200 km) in weniger als einer Stunde ankommen konnte. Das war wesentlich schneller als die Post mit Reitern oder Kutschen. Die Verlässlichkeit des Systems war ein Nachteil: Bei schlechtem Wetter wie Nebel, Regen oder Schnee war die Sicht eingeschränkt oder die Übermittlung vollends unmöglich. Für die beschränkte Anzahl von Nachrichten, die übertragen werden konnten, waren Bau und Unterhalt des Netzwerks teuer. Dennoch stellte das semaphorische System einen wichtigen Fortschritt in der Kommunikationstechnologie dar und spielte eine bedeutende Rolle in der militärischen und politischen Geschichte Frankreichs, den Napoleonischen Kriegen. Das Netz wurde bis in die 1850er Jahre genutzt, als es von der elektrischen Telegrafie abgelöst wurde.
Wreckless Eric: Semaphore Signals. Stiff BUY 16, 1977

Entwicklung der Telegrafie (Timeline)
– Zwischen 1820 und 1830 wurde die Entwicklung der elektrischen Telegrafie durch Personen wie André-Marie Ampère (F), Carl August von Steinheil (D), Pavel Schilling (RUS), Samuel Morse (USA), Edward Davy, William F. Cooke und Charles Wheatstone (GB) entscheidend vorangetrieben.
– 1838 die erste kommerziell betriebene britische Linie von Erfinder Cooke und Wissenschaftler Wheatstone verband die Städte London und West Drayton (21 km) entlang der «Great Western Railway». Diese Telegrafenlinie wurde hauptsächlich für die Eisenbahnsignalisierung eingesetzt, um die Sicherheit und Effizienz des Zugverkehrs zu verbessern. Der Erfolg dieser ersten Linie führte zu einer raschen Ausbreitung von Telegrafenlinien in ganz Grossbritannien. Cook-Wheatstone erhielten 1837 ein Patent für ihren Fünf-Nadel-Telegrafen. Dieser war ein wichtiger Schritt in der Entwicklung der Telegrafie, wurde aber später von einfacheren und effizienteren Systemen wie dem Morsetelegrafen abgelöst. five-needle telegraph: Science Musieum Group Ihr Telegraf bestand aus fünf Magnetnadeln, die auf einer Tafel angeordnet waren. Unter den Nadeln befanden sich Tasten, die mit den Leitungen verbunden waren. Es gab sechs Leitungen: fünf für die Nadeln und eine für den Rückstrom. Jede Nadel konnte nach links oder rechts ausschlagen. Durch die Kombination der Auslenkungen verschiedener Nadeln wurden die Buchstaben codiert, so war der Buchstabe «A» durch die Auslenkung der linken oberen und der rechten unteren Nadel angezeigt. Technisch handelt es sich um einen relativ komplexer Aufbau, die Codierung ist aber einfach zu erlernen (siehe Wheatstone Telegraph Demonstration von Wim der Kinderen). Die Übertragungsgeschwindigkeit war geringer als beim späteren Morsecode, der nach der Verbreitung in den USA auch in Grossbritannien eingefürt worden ist.
– 1844 erste amerikanische Linie zwischen Washington, D.C. und Baltimore, Maryland (40 Meilen, 64 km). Sie wurde mit Mitteln der US-Regierung finanziert und diente als – so sagen wir heute – Machbarkeitsstudie für Samuel Morses Erfindung. Am 24. Mai wurde die erste Nachricht übertragen: «.-- .... .- - .... .- - .... --. --- -.. .-- .-. --- ..- --. .... - ..--..», «What hath God wrought?» («Was hat Gott gewirkt/geschaffen?» – «wrought» ist das Partizip Perfekt von «work».) Die Telegrafenlinie wurde entlang der Linie der Baltimore-Ohio-Railroad gebaut. Der Versuch war ein Erfolg, der den Ausbau des Telegraphennetzes in den USA nach sich zog.
– 1861 transkontinentale Telegrafenlinie – sie erreichte die Westküste acht Jahre vor der transkontinentalen Eisenbahn. A Pony Express Reiter und Telegraphen-Arbeiter. Bildquelle: BritannicaVor der Telegrafie brauchte eine Nachricht mit dem «Pony Express» zehn Tage, um das riesige Land zu durchqueren. Die Entdeckung von Gold in Kalifornien 1848 verstärkte den Bedarf an Kommunikation zwischen Ost und West. Als der New Yorker Journalist John L. O’Sullivan 1845 das Konzept der «manifest destiny» im Umlauf gebracht hat, wurde das Schlagwort bald im Zusammenhang mit der Telegrafie verwendet. «Manifest destiny» hiess, dass die USA aus offensichtlichen geografischen Gründen dazu bestimmt waren, sich über den gesamten nordamerikanischen Kontinent auszubreiten – vom Atlantik bis zum Pazifik. Gebaut wurde die transkontinentale Linie von der «Western Union Telegraph Company». Sie verlief von Omaha, Nebraska, nach Sacramento, Kalifornien, entlang der Route des «Pony Express». Der Bau war eine enorme Herausforderung. Arbeiter mussten durch unwegsames Gelände, über Berge und durch Wüsten, Telegrafenmasten errichten und die Leitungen verlegen. Angriffe von Indianern und extremes Wetter erschwerten die Arbeit zusätzlich. Am 24. Oktober 1861 wurde die Linie fertiggestellt. Die erste transkontinentale Nachricht war ein Telegramm von Stephen J. Field, dem Obersten Richter von Kalifornien, an Präsident Abraham Lincoln. Die Telegrafenlinie machte den «Pony Express», der nur 18 Monate in Betrieb war, überflüssig. Die schnelle Kommunikation verbesserte die Verbindung zwischen Ost und West und trug zur Einheit der USA bei. Auch der Handel, die Finanzwelt und die Nachrichtenverbreitung wurden durch die Telegrafie revolutioniert (j.W. Carey, 1988).
– 1866 transatlantisches Kabel: Das transatlantische Telegrafenkabel war ein Meilenstein in der Geschichte der Kommunikation. Es ermöglichte erstmals eine nahezu sofortige Kommunikation zwischen Europa und Nordamerika. Bereits 1857 und 1858 gab es Versuche, ein Kabel zu verlegen, die aber scheiterten. Die treibende Kraft hinter dem Projekt war der amerikanische Unternehmer Cyrus Field, der viel in das Unternehmen investierte. Das Kabel wurde vom grössten Schiff der damaligen Zeit, der «Great Eastern», verlegt. Es war über 3000 Kilometer lang und bestand aus Kupferdraht, Guttapercha (eine Art Gummi) als Isolierung und Stahl zur Verstärkung. Die Verlegung war eine technische Meisterleistung, da das Kabel in grosser Tiefe und über unebenen Meeresboden verlegt werden musste. Am 27. Juli 1866 wurde die Verbindung erfolgreich hergestellt. Die erste offizielle Nachricht war ein Glückwunsch von Königin Victoria an US-Präsident Andrew Johnson. Vor der Telegrafie brauchte ein Schiff zwischen neun Tagen und mehreren Wochen. Das Kabel von 1866 war nicht das letzte. In den folgenden Jahren wurden weitere Kabel verlegt, die die Kapazität und Zuverlässigkeit der Verbindung verbesserten. Es war ein Triumph des Transatlantizismus.
Dire Straits: Telegraph Road. Vertigo 6359 109, 1982

Telegrafie in der Schweiz
In der Schweiz wurde die Telegrafie relativ spät eingeführt. Im Sonderbundskrieg wurde noch mit Sichttelegrafie experimentiert. Der Bundesrat legte dem Parlament 1851 ein Telegrafengesetz vor, das die Technologie zur Bundessache erklärte – nicht zuletzt vermutlich wegen der millitärischen Bedeutung der Sache. Das Parlament verabschiedete dieses Gesetz im selben Jahr. 1852 wurde die Eidgenössische Telegraphenwerkstätte (ETW) gegründet, um «Telegrafenapparate samt Zubehör in eigener Regie aus vorfabrizierten Einzelteilen zusammenzubauen» (HLS). 1865 wurde Bern zum Sitz der Internationalen Union der Telegraphenverwaltungen, der Vorläuferin der Internationalen Fernmeldeunion. Im selben Jahr erwarb Gustav Adolf Hasler zusammen mit Albert Escher die ETW, die damit zum Grundstein der Firma Hasler AG wurde (seit 1987 mit Autophon und Zellweger Telecommunications zur Ascom fusioniert). 1874 wurde die Telegrafie in die Verfassung aufgenommen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die beiden Bereiche Post und Telegrafie – zusammen mit der Telefonie – unter eine einzige Oberbehörde, die PTT, gestellt.
Unterschied USA – Schweiz
In der Schweiz war es der Bund, der für den Aufbau des Netzes zuständig war, während es in den USA Privatfirmen waren. In den USA entstand 1850 erst einmal ein Chaos: Es gab über 50 Telegrafie-Firmen, die einander konkurrenzierten, die teilweise nur aus Gründen der Spekulation existierten und die sogar Linien bauten, wo es bereits andere Linien gab (Czitrom, Media and the American Mind, p. 22). 1856 ist aus dem Wirrwarr schliesslich Western Union hervorgegangen. Entscheidend für Western Unions Aufstieg waren Patente von Morse für den Bau von langen Leitungen und für die Benutzung der nach ihm benannten Sprachcodierung mit Punkten und Strichen. Ein anderer Faktor für das entstehende Monopol waren Verträge mit den Western Railroad Companies. Das Monopol wuchs in den folgenden 40 Jahren und 1909 kam Western Union in den Besitz von AT&T, einem weiteren Monopolisten.
Die USA bauten ihr Netz ein paar Jahre vor der Schweiz. Vermutlich wurde die Notwendigkeit der Telegrafie im grossen, teils unerschlossenen Land als dringender empfunden als in der kleinen Schweiz. Der Bottom-up-Prozess sorgte für grosse Turbulenzen und die privatrechtliche Organisation des Aufbaus und Betriebs des Telegrafennetzes war nicht immer effizient. Es trieb Spekulantenn in den Bankrott und machte erfolgreiche Geschäftsmänner unnötig reich.
Entwicklung der Telefonie
Die Idee eines sprechenden Telegraphen («speaking telegraph») hatten Innocenzo Manzetti (1844) und der deutsche Physiklehrer Johann Philipp Reis. Das Reis-Telefon, das er 1861 in Frankfurt a.M. demonstrierte, konnte zwar Töne, aber keine verständliche Sprache übertragen. Es war eher eine musikalische Erfindung als ein Kommunikationswerkzeug.
Der nächte Schritt in der Erfindung und Entwicklung des Telefons machte Alexander Graham Bell mit einem Gerät, das er «harmonic telegraph» nannte und das er 1876 zum Patent anmeldete. Am 7. März 1876 erhielt er das US-Patent Nr. 174,465 für ein «Gerät zur Übertragung von Sprache ... durch Telegraphen». Am selben Tag reichte auch Elisha Gray ein ähnliches Patent ein. Weil Bell danach das erste funktionierende Telefon entwickelte, gilt er als der Erfinder.
Eine weitere für das Telefon entscheidende Erfindung war das Kohlemikrofon von Thomas A. Edison, das er sich 1877 patentieren liess.
Einige Meilensteine in der Entwicklung der Telefonie in den USA und Europa:
– Einrichtung der ersten Telefonverbindungen (1876/77) sowohl in den USA als auch kurz darauf in Europa.
– Die erste Telefonzentrale der Welt wurde 1878 in New Haven, Connecticut, eröffnet. Sie ermöglichte es, mehrere Teilnehmer miteinander zu verbinden.
– Automatisierung der Zentrale durch Almon Strowger 1889
– Die erste transatlantische Telefonverbindung wurde 1927 zwischen New York und London hergestellt.
– Die Digitalisierung der Telefonie begann in den 1960er Jahren und führte zu einer deutlichen Verbesserung der Sprachqualität und zu neuen Funktionen wie Anrufbeantworter und Anruferkennung.
– Die Entwicklung des Mobilfunks in den 1970er Jahren revolutionierte die Telekommunikation und machte das Telefonieren unabhängig von festen Leitungen.
Bell gründete 1877 die «Bell Telephone Company», die schnell zum dominierenden Unternehmen in der US-amerikanischen Telefonindustrie wurde. 1885 wurde die «Bell Telephone Company» in «American Telephone & Telegraph Company» (AT&T) umbenannt. AT&T verfolgte eine aggressive Expansionsstrategie und kaufte viele kleinere Telefongesellschaften auf bis die Firma eine Monopolstellung im US-amerikanischen Telefonmarkt erlangte. Das Unternehmen kontrollierte nicht nur die Telefonleitungen, sondern auch die Herstellung von Telefonapparaten. Das Monopol wurde erst 1984 aufgrund von kartellrechtlichen Bedenken zerschlagen. AT&T wurde damals in sieben regionale Telefongesellschaften («Baby Bells») aufgeteilt. Dies führte zu mehr Wettbewerb im Telekommunikationsmarkt. Wie stets nach solchen deregulierenden staatlichen Eingriffen (vergleiche Standard Oil Co. of New Jersey v. United States) fusionierten einige der «Baby Bells» wieder miteinander, so dass neue Unternehmen wie «MCI» oder «Sprint» entstanden. 2005 übernahm «SBC Communications», eine der «Baby Bells», die AT&T und trägt seither den Namen des ehemaligen Mutterkonzerns. 2006 übernahmen die «Verizon Communications», eine weitere «Baby Bell», die «MCI» und «AT&T» die «BellSouth». So war die Geschichte der Telefonie in den USA geprägt von technologischen Innovationen, wirtschaftlichen Machtkämpfen und regulatorischen Eingriffen. Von den ersten einfachen Geräten bis hin zu den heutigen komplexen Mobilfunknetzen hat die Telefonie die Art und Weise, wie wir kommunizieren, grundlegend verändert.
Blondie: Hanging On The Telephone. Chrysalis CHR 1192, 1978.

Die Bedeutung von Telegrafie und Telefonie
– Mit den beiden Medientechnologien wurden zum ersten Mal Transport und Kommunikation differenziert.
– Im Journalismus wurden die «News» wichtiger als der Kommentar.
– Da die Übertragungszeit gegen 0 geht «vernichtet» die Telegrafie den Zeitfaktor der Kommunikation. Sie homogenisiert aber auch den Raum, indem sie Gleichzeitigkeiten über grosse Räume schafft.
Querverweise
AT&T
Links, Quellen
– Wikipedia (en): Artikel: Semaphore
Morse Code Translator
– Regine Buschauer: Telegraf (Historisches Lexikon der Schweiz, 17.12.2013)
– Margreth Schädeli: Die schweizerische Post im Ersten Weltkrieg unter spezieller Berücksichtigung der Verhältnisse in der Stadt Basel (Berner Studien zur Geschichte. Reihe 5: Ära der Weltkriege, Band 3, Universität Bern, 2021)

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