Musikzimmer Blog Post: Gordon Lightfoot: Canadian Railroad Trilogy

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Gordon Lightfoot: Canadian Railroad Trilogy


Im Mai 2023 ist Gordon Lightfoot verstorben. Mit etwas Distanz nehme ich mich einem seiner erstaunlichsten Songs an: «Canadian Railroad Trilogy».
Entstehung
Lightfoot schrieb «Canadian Railroad Trilogy» 1967 als Auftragsarbeit der Canadian Broadcasting Corporation (CBC) zum 100-jährigen Bestehen der Canadian Pacific Railway, der Zuglinie, die Kanada von Osten nach Westen durchzieht.
Struktur
Der epische Song hat drei Teile («Trilogie») und ist Struklturell eine Suite. Anstatt dass die drei Teile sich einfach folgen, sind sie verschachtelt: der erste beinhaltet den zweiten, der wiederum den dritten enthält. Der erste Teil ist patriotisch, er besingt Kanada als Land. Der erste Verse ist die Beschreibung von unberührter Natur – ein paradiesischer Zustand. Der zweite Teil besingt das Millieu der Gründerväter, die getrieben von Fortschritt und Moderne das Land industrialisieren, indem sie in eine Eisenbahn investieren. Der dritte Teil beschreibt den Alltag der Eisenbahnbauer, der «navvies».
Erst die Coda verbindet über das Wort «Stille» («silence») den ersten mit dem dritten Teil:

And many are the dead men too silent to be real
Still liegen Berge, Wälder und Prärien, wenn sie nicht vom Menschen urbar gemacht und bezwungen werden. Still liegen aber auch die Opfer, wenn kein Barde sie besingt oder keine Geschichtsschreibung ihrer gedenkt ...
Geschichte
«Canadian Railroad Trilogy» ist ein Story Song, also einer, der eine Geschichte erzählt. Die Erzählung ist eine historische und damit hat der Song in zweifacher Hinsicht mit Geschichte zu tun, mit Geschichte als erzählerischem Gehalt und mit Geschichte als Erzählung wie es früher einmal war.
«Canadian Railroad Trilogy» ist historiografisch interessant, weil das Lied in seinen drei Teilen drei Arten von Geschichte («history») erzählt, eine mythologisierende Nationalgeschichte (erster Teil mit der Natur als Erzählgegenstand), eine heroisierende Wirtschafstgeschichte (zweiter Teil mit den Gründern) sowie eine sozialrealistische Alltagsgeschichte (dritter Teil mit den Arbeitern («navvies») als Antihelden). Es ist grossartig wie ein sechsminütiges Lied diese drei Perspektiven ausrollen kann, das Feierliche des Jubiläums, das gesellschaftliche Abenteuer der Bezwingung der Natur durch schiere Willens- und Körperkraft und die Opfer von Blut, Schweiss und Tränen, die meist ausgeblendet werden.
Die Verschachtelung der drei Teile wirkt wie ein tiefer Schürfen bei der Arbeit mit Quellen oder ein Vordringen zur historischen und gesellschaftlichen «Basis». Diese «Basis» steht in Anführungszeichen, weil sie nicht dem marxistischen Modell von Basis und Überbau folgt, sondern einem Modell der Rahmung. Arbeit und Opfer der «navvies» macht nur Sinn im grösseren Kontext – im Rahmen – der Wirtschaftsgeschichte und diese wiederum im Rahmen der Nationalgeschichte.
Intertextualität
Ein Vorbild für «Canadian Railway Trilogy» war die Civil War Trilogy von Bob Gibson und Hamilton Camp.
Bedeutung
Gordon Lightfoot zeigte mit «Canadian Railroad Trilogy» früh, dass kanadische Musiker*innen in der obersten Liga der Populären Musik mitspielen, dass sie mit den amerikanischen Kolleg*innen mithalten können. Lightfoot war nicht der erste. Als der Song herauskam, waren Buffalo Springfield, die Gruppe von Neil Young und Stephen Stills, in Los Angeles bereits gut unterwegs. Leonard Cohen und Joni Mitchell traten einige Monate später ins internationale Rampenlicht. Man nahm Lightfoot im Gegensatz zu Buffalo Springfield als Kanadier wahr – und das war für die kanadische Musik wichtig.

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